Vögelfrei
Erkenntnis gehabt. »Aber es ist ja auch schön, so eingebettet zu sein.« Hilde nickte heftig, klatschte, alle anderen klatschten auch, und Hilde gratulierte der Teilnehmerin, die strahlend auf ihren Platz zurückging.
Ich rappelte mich hoch. »Das gibt doch einen Riesenärger, wenn ihr Ehemann das rauskriegt«, warf ich ein, »der andere ist immerhin sein bester Freund.«
Hilde wischte meinen Einwand mit großer Geste weg: »Dann soll er eben zu mir kommen, wir kümmern uns schon um ihn«, erklärte sie ungehalten.
Ich schlich zurück auf meine Matte und fühlte bald die Hand des Pantomimefickers an meinem Hintern. »Ohne Klamotten wär’s noch geiler gewesen«, flüsterte
er mir ins Ohr. Ich erhob mich, um mir eine Jacke zu holen, und trat ganz aus Versehen auf seine Hand.
Es waren erst zwanzig Minuten verstrichen, und die Sitzung sollte den ganzen Abend dauern. Ich fragte mich, wie ich das aushalten sollte. Der Nächste war ein Mann, der erst nicht herausrücken wollte mit seinem Problem. Er stand in der Mitte der Gruppe und zierte sich. Hilde strich ihm beruhigend über den Rücken und sagte einschläfernd: »Lass es zu, wir machen es weg.«
Schließlich platzte es aus ihm heraus. Er wolle die Beziehung zwischen sich und seinem Penis aufstellen. Ich erwartete, die Gruppe würde in schallendes Gelächter ausbrechen, aber nichts passierte. Einige Männer nickten sogar. »Gut, Ludger, dann such dir einen Darsteller für deinen Penis.«
Er ging durch die Reihen und ließ erst einen Mann aufstehen, dann einen zweiten und entschied sich schließlich für einen fast zwei Meter großen Lulatsch, der auch noch kahlköpfig war und sowieso aussah wie ein wandelnder Dildo. »Angeber«, dachte ich. Für sich selbst suchte Ludger eine dicke ältere Frau, die bereitwillig ihr Strickzeug beiseitelegte und mithilfe zweier anderer Teilnehmer aufstand.
»Ich kann das besser abstrahieren, wenn ich mich selbst gegen den Strich besetze«, erläuterte er. Hilde winkte das durch, als sei es selbstverständlich. Ludger platzierte die dicke Frau auf einen kleinen Turnkasten und bat sie, etwas zu tun, was er halt so tue, also fernsehen, an der Spielekonsole daddeln oder Zeitung lesen.
Der lange Lulatsch hatte sich inzwischen mit zwei Medizinbällen versorgt, die er links und rechts unter
die angewinkelten Arme klemmte. Der nahm seine Rolle wörtlich.
Das würde ich niemandem erzählen können, fiel mir ein, jedenfalls nicht dem, dem ich es gerne erzählt hätte, damit wir vor Lachen vom Sofa rutschten. Ich wurde traurig, schob es aber schnell weg. Ich hatte mit mir selbst ausgemacht, nicht mehr traurig zu sein, und bisher klappte das ganz gut. Ich durfte eben nicht zu viel nachdenken.
Die Ludgerfrau simulierte Spielen an der Konsole und tat das so überzeugend, dass ich mich fragte, ob sie nicht vielleicht nachts, wenn alle anderen in der Senioren-WG schliefen, im Internet als Herrin Brutalia, die Höllenhund-Dompteuse, in irgendeiner Fantasywelt unterwegs war, um Gnome und Monsterkakerlaken abzuschlachten. Der Penislulatsch lief um sie herum, hüpfte und schlug Haken, als müsse er dringend mal Gassi geführt werden. Die Höllenhund-Dompteuse wehrte ihn ab und spielte weiter an der unsichtbaren Konsole. Der Riesenpenis wurde aggressiver, beugte sich zwischen sie und ihr Spiel, stieß sie an der Schulter an, peste um sie herum und veranstaltete einen Zirkus, der einen wahnsinnig machen konnte. Die Dompteuse reagierte genervt, drehte sich weg oder schlug nach ihm.
Ludger selbst sah gramgebeutelt zu, zeigte ab und an auf den großen Schwengel, der hin und wieder einen seiner beiden Medizinbälle verlor, und sagte immer wieder: »Genau, genau.« Schließlich fiel dem Schwanz nichts mehr ein, er gab auf, krümmte sich zu Füßen der Dompteuse zusammen und sah aus, als würde er gleich losheulen. Und da passierte das Unfassbare, Magische, die
therapeutische Sternstunde: Unter den leuchtenden, gebannten Gesichtern der Umsitzenden wurde die Dompteuse auf das Häufchen Elend zu ihren Füßen aufmerksam, ließ eine Hand hinuntergleiten und tätschelte dem Monsterpenis sanft die spiegelnde Glatze. Der richtete sich dankbar auf und schmiegte sich an ihre Beine. Sie tätschelte ihn weiter. Er schloss genüsslich die Augen und schlief schließlich ermattet an ihrem Knie ein.
Die Gruppe klatschte begeistert, und Ludger konnte seine Tränen kaum mehr zurückhalten.
»Hast du das gesehen?«, rief Hilde. »Du musst ihn würdigen, dich um ihn
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