Vogelfaenger
Türreißverschluss – mein Handy bleibt da, damit ich nicht gucke, ob Tobias wieder schreibt – und los geht’s.
Es ist das erste Mal, dass wir das Zelt und den Platz verlassen.
20
Der Himmel ist mittlerweile mit einigen Wolken bedeckt, aber es ist weiterhin angenehm warm und wettermäßig ideal für einen ausgiebigen Hundeausflug am Fluss entlang. Wir spielen, rennen und toben mit Rocky, erreichen nach einer guten halben Stunde den Ort, der außer dem italienischen Bistro mit Eisdiele nicht viel zu bieten hat, haben aber dennoch Spaß beim Bummeln und lassen uns jede ein Baguette und einen großen Erdbeerbecher schmecken. Zwischendurch füllt Ida gemütlich einen Psychotest für uns beide aus, stellt mir mit einer Zigarette im Mundwinkel nuschelnd Fragen und erschüttert mich mit dem Ergebnis: In Sachen Partys bin ich angeblich Typ A, die Solide, Treue, das zukünftige Hausmütterchen, das immer nur mit demselben Jungen tanzt, während Idas Punktzahl auf C hinweist, den Vamp, die risikobereite, emanzipierte Frau, die Karriere macht, gleichzeitig einen Flirt nach dem anderen hat und alle Jungs um den kleinen Finger wickelt.
»Du hast uns vertauscht oder dich verrechnet«, sage ich.
»Nein, es ist alles richtig, das Ergebnis stimmt. So wie es aussieht, hättest du also doch gut zu Tobias gepasst. Ich wette, in drei Tagen vergehst du vor Sehnsucht nach deinem Ex, und wenn dann Jan wiederkommt, weißt du gar nicht, was du mit ihm anfangen sollst.«
Sie grinst mich an und ich kann nichts entgegnen,denn ich habe, während sie die Punkte zusammenzählte, tatsächlich überlegt, ob ich Tobias eine Postkarte schreiben soll.
»Ich dagegen habe alle Chancen, mein Leben zu ändern!«
»Aber ich denke die ganze Zeit an den armen Jan. Und an Tobias. Der ist auch arm dran. Daran siehst du’s doch: Ich bin der Vamp! Ich denke an zwei Jungs! Vielleicht sogar an drei, denn Fabi gefällt mir auch. Außerdem: Was willst du ändern?« Ich frage das leichthin, aber ich will es wirklich wissen.
»Abhauen will ich!« Sie ballt die Fäuste.
»Wir sind doch im Urlaub.«
»Ja. Das ist auch ein Anfang, das ist, als wäre ich aus der Hölle entwischt.«
»Wegen deiner Eltern? Weil du gestern mit deinem Vater Streit hattest?«
»Nein, ach, nein!« Ida winkt ab.
»Du denkst noch an deinen Albtraum. Hölle, Teufel, dieser Quatsch.«
»Neeein. Ach, das verstehst du nicht, Nele. Weißt du, dass ich unglaublich glücklich bin, mit dir hier zu sein?«
Ich lächele geschmeichelt, obwohl ich lieber verstehen würde, was sie meint. »Erzähl mal, warum du abhauen willst!«
»Ach, das wollen doch alle – und tun’s am Ende doch nicht. Und ich will jetzt nichts erzählen.« Sie wirkt fröhlich, aber bestimmt. »Komm, wir machen noch einen:
Welcher Schminktyp bist du?
«
»Das will ich aber nicht. Wer weiß, was dabeirauskommt. Machen wir lieber: Wer noch einen Eisbecher verträgt!«
»Auch gut.«
Wenn es mich nicht an acht Stichstellen zwicken und schmerzen würde, wenn die Leute mich nicht anstarren würden wie eine Aussätzige und wenn ich nicht wüsste, dass hinter Idas Wunsch »weg zu sein« bestimmt mehr steckt als normales Fernweh, dann wäre es genauso ein Urlaubstag, wie ich ihn mir mit ihr gewünscht habe.
Auf dem Rückweg beklagt sie ihren fetten Erdbeereisbauch.
»Wenn jemand einen fetten Bauch hat, bin ich das!«
»Nein, ich!«
»Ich! Guck mich doch an!« Ich hebe erst mein Top an und strecke meine Speckrollen raus, dann schiebe ich, ähnlich wie gestern, meine Shorts hoch. »Hier, mein Teufelchen, das platzt irgendwann.«
»Teufel finde ich sowieso doof. Das würd ich weglasern lassen.«
»Na hör mal«, rufe ich empört, »nur weil du von geilen Teufeln träumst, muss ich nicht mein Tattoo entfernen!«
Ida guckt mich erschrocken an, aber es geht ihr gar nicht um ihren schlechten Traum. Als sie mit einer kurzen Kopfbewegung zur Seite deutet, bemerke auch ich den einsamen Angler vom Campingplatz, der wenige Meter entfernt am Ufer sitzt und zu uns rüberschaut.
»Auch so ’n alter, geiler Teufel«, flüstere ich, obwohl ich sicher bin, dass der alte Mann total harmlos und nett ist.
Wir kichern, setzen unsere Sonnenbrillen auf, machen, dass wir wegkommen, und dichten dem armen Kerl an, er warte nur darauf, eines Tages eine nackte Flussnymphe an Land zu ziehen.
»Wenn die einen Fischschwanz hat, steckt der die aber in einen seiner Eimer«, sagt Ida.
»Wie brutal! Wenn ich irgendwas hasse, sind das
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