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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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wusste er, wie er das Messer handhaben musste. Bald darauf war sein Gesicht zum ersten Mal seit sechzehn Monaten sauber rasiert, und da er gerade einmal dabei war, schnitt er auch gleich seine schulterlangen Haare ein Stück kürzer.
    Schließlich streifte er sich sein Hemd über den Kopf, wusch es in dem restlichen Wasser gründlich aus, wrang es aus und hängte es zum Trocknen an sein Bett. Die Blutflecken bekam er zwar nicht heraus, und er verabscheute die grässlichen Rüschen, aber er musste dieses Hemd tragen, bis er Gelegenheit bekam, sich ein neues machen zu lassen.
    Als er am nächsten Morgen erwachte, waren seine Muskeln steif, und sein ganzer Körper schmerzte - wie an jedem Morgen seit seiner Verhaftung. Der dreitägige Marsch nach seiner Krankheit hatte auch nicht viel geholfen, sondern ihm nur klar gemacht, dass er nicht sterben würde. Seine Füße waren wund und die Muskeln seiner linken Wade hart wie Eisen. Er setzte sich auf die Bettkante und versuchte erfolglos, sich zu seinen Zehen hinabzubeugen. Wenn er seine frühere Form auch nur annähernd wiedererlangen wollte, musste er seine Muskeln lockern. Höchste Zeit, wieder mit dem Training anzufangen.
    Zumindest galt es, die gröbsten Schwächen auszumerzen. Glen Dochart unterschied sich in einem Punkt von allen anderen Tälern, die Dylan bisher in Schottland gesehenhatte - es bot viel freien Raum. Also begann er noch vor Tagesanbruch auf dem flachen Gelände zwischen den Baracken und dem Haus mit seinem gewohnten Morgenprogramm. Die schorfige Haut auf seinem Rücken spannte bei jeder Bewegung der Arme, und er musste sich sehr in Acht nehmen, damit die Wunden nicht wieder aufplatzten. Langsam begann er mit dem qualvollen Prozess, seine frühere körperliche und seelische Verfassung wiederzuerlangen. Er musste sich selbst beweisen, dass es den Rotröcken in Fort William nicht gelungen war, seinen Körper und seinen Willen zu brechen.
    Plötzlich hörte er ein wohl vertrautes Geräusch hinter sich; den typischen Laut, den die Schotten des achtzehnten Jahrhunderts immer ausstießen, wenn sie zum ersten Mal Zeuge der asiatischen Form des Kampftrainings wurden. Er achtete erst nicht darauf, sah aber dann, wie Murchadh sich an ihn heranpirschte, und begriff, dass er sich jetzt behaupten musste. Er hoffte nur, dass sein linkes Bein das aushielt, was ihm gleich bevorstand.
    Und richtig, der große Schotte umklammerte ihn ohne Vorwarnung von hinten und versuchte, ihn in den Schwitzkasten zu nehmen. Dylan brachte ihn ohne große Mühe zu Fall, obwohl sein Rücken gegen diese Misshandlung protestierte. Der Schotte landete rücklings auf dem Boden und starrte verwirrt zu Dylan empor. »Wie hast du das gemacht?«
    »Zauberei.« Dylan nahm wieder Grundhaltung ein: linkes Bein leicht vorgestreckt, Körpergewicht auf das rechte Bein verlagert, Arme locker an den Seiten herabhängend. Er rechnete damit, dass Murchadh gleich aufspringen und wieder auf ihn losgehen würde. »Hat Rob dir nicht gesagt, dass mich die kleinen Leute vor den Engländern gerettet haben?« Er hörte Sinann kichern, sah sie aber nicht und wagte auch nicht, nach ihr Ausschau zu halten.
    Murchadh erhob sich und zückte ein Messer. Dylan seufzte. Er hatte in der letzten Zeit nun wirklich genug unnütz vergossenes Blut gesehen, also verzichtete er darauf, Brigid hervorzuholen, er war ziemlich sicher, dass er mit Murchadh auch so problemlos fertig werden würde. Um den Gegner zu verwirren, beugte er sich langsam von einer Seite zur anderen und ließ dabei drohend die Fäuste kreisen.
    Murchadh umkreiste ihn lauernd, Dylan ließ ihn nicht aus den Augen. Als der große Schotte zum Angriff überging, sprang er zur Seite, packte Murchadhs Hand, die das Messer hielt, und verdrehte das Handgelenk so lange, bis sein Gegner die Waffe fallen ließ und auf die Knie sank. Mit einem kräftigen Tritt stieß er Murchadh rücklings zu Boden und setzte ihm gleich darauf einen Fuß auf die Hand, um ihn am Aufstehen zu hindern. Zwar begann sein linkes Bein ob der Belastung heftig zu pochen, doch war es ihm gelungen, seinen Gegner zu überwältigen, ohne dass ein Tropfen Blut geflossen war.
    »Lass mich aufstehen!«
    Dylan verstärkte den Druck auf Murchadhs Hand, damit dieser begriff, dass er es ernst meinte. Der Schotte verzog zwar vor Schmerz das Gesicht, gab jedoch keinen Laut von sich. »Gibst du jetzt Ruhe?«, fragte Dylan drohend. »Ich möchte dich nur ungern ernsthaft verletzen, aber ich tue es, wenn du mich

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