Vogelfrei
»Natürlich. Man kennt uns sogar unter vielen Namen.« Dylan lächelte über den Scherz, und der Mann übernahm das Vorstellen. Er deutete auf einen stumpfgesichtigen Burschen mit rötlich braunem Haar, der Dylan gegenüber saß. »Das ist Cailean nan Chasgraidh.« Colin vom Massaker. Aufgrund seines Alters hielt Dylan ihn für einen Überlebenden des Massakers von Glencoe. Der Hüne fuhr fort: »Dies hier ist Alasdair Og.« Der junge Alasdair war in der Tat noch ein halbes Kind, er hatte noch nicht einmal einen Bartansatz. »Und das ist Seamus Glas.« Der bleiche ]ames hatte eine totenblasse Haut, nur auf seinen Wangen leuchteten zwei pinkfarbene Flecken; er war auffallend kräftig gebaut. »Und mich nennt man allgemein Murchadh Dubh.« Den schwarzen Murdo. Hoffentlich bezog sich der Name auf seine Haarfarbe und nicht auf seinen Charakter; auch über die fehlende Nase machte sich Dylan so seine Gedanken.
Murchadh sprach schon weiter. »Du willst dich vermutlich gleich rasieren.«
Dylan betastete seinen Bart, der zwar eine beachtliche Länge erreicht hatte, aber nie so dicht und buschig wie die der anderen Männer geworden war. Er wusste nicht, wie der Bart ihm stand, er fühlte nur, dass die Haare sich glatt und weich an seine Haut schmiegten. »Wieso das denn?«
»Wenn du in der Garnison warst, hat dich da vermutlich jeder Rotrock gesehen, der im westlichen Hochland Dienst tut. Du solltest dein Äußeres verändern, also rasier dich.« Murchadh widmete sich wieder seinem Stew. »Außerdem muss es dir um die paar Flusen nicht Leid tun.«
Dylan kratzte sich am Kinn. Ihm lag eine ähnlich boshafte Bemerkung auf der Zunge, doch er schluckte sie hinunter. Murchadh hatte Recht, er musste in der Tat sein Äußeres verändern, und mit seinem Bart konnte er ohnehin nicht viel Staat machen. Also fragte er, ob ihm jemand einen Wetzstein leihen könne, und als einer der Männer ihm einen zuwarf, ging er zu seiner Pritsche, um seinen sgian dubh zu schärfen.
Seamus, der einzige glatt rasierte Mann aus der Gruppe, gab ihm noch einen kleinen Kupfertopf. »Hol dir Wasser vom Brunnen und mach es über dem Feuer warm. Wenn du die Barthaare kurz geschnitten hast, kannst du die Stoppeln leichter abrasieren, wenn du vorher ein heißes, feuchtes Tuch auf die Haut gelegt hast.« Er sprach, als rede er mit jemandem, der sich noch nie zuvor rasiert hatte - was in Dylans Fall in gewisser Hinsicht sogar zutraf. Als er sich das letzte Mal rasiert hatte, hatte er dazu Rasierschaum aus der Sprühdose und einen Einwegrasierer benutzt. Daher tat er, was Seamus ihm geraten hatte.
Draußen am Brunnen blickte er zu dem Steinhaus hinüber, in dem MacGregor mit seiner Familie lebte. Jetzt waren zwei Pferde davor angebunden, und erregtes Stimmengewirr drang zu ihm herüber. Er fragte sich, was dort vor sich ging.
Sinann materialisierte plötzlich aus dem Nichts und hockte sich auf den Brunnenrand. Dylan fuhr erschrocken zusammen. »Wo hast du denn gesteckt?«
»In deiner Nähe. Aber du hast mich nicht gebraucht, und du hättest unangenehme Fragen beantworten müssen, wenn dich jemand bei Selbstgesprächen ertappt hätte. Und du warst nicht in der Verfassung, dich in Acht zu nehmen. Also habe ich mich bescheiden im Hintergrund gehalten und auf eine Gelegenheit gewartet, unter vier Augen mit dir zu sprechen.«
Dylan nickte zum Haus hinüber. »Was ist da los?«
»Ich habe keine Ahnung. Soll ich es für dich herausfinden?«
Dylan nickte. Wissen war Macht, und vielleicht konnte er den Ausgang der ihm bevorstehenden Schlacht im nächsten Jahr doch noch entscheidend beeinflussen, wenn er über genügend Informationen verfügte. »Ja, versuch mal, so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen. Ich brau-che alle Informationen, die ich kriegen kann, wenn ich bei dem nächsten Aufstand irgendwie von Nutzen sein soll.«
Die Fee lächelte. »Ich bin stolz auf dich, mein Freund. Wusste ich's doch, dass du Vernunft annehmen würdest.«
Dylan gab keine Antwort, sondern kehrte mit seinem Wassertopf und einem unangenehmen Kribbeln in der Magengegend zu der Baracke zurück.
Während das Wasser heiß wurde, stutzte er seinen Bart so kurz, wie es eben ging, ohne dass er Gefahr lief, sich zu schneiden. Dann schärfte er sein Messer noch einmal, tauchte ein Tuch in das heiße Wasser und presste es eine Weile gegen seine Bartstoppeln, ehe er vorsichtig das Messer ansetzte. Es ging einfacher, als er gedacht hatte; er schnitt sich nur einmal ganz am Anfang, dann
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