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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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geht hier eigentlich ...«
    Weiter kam er nicht. Unter Wutgebrüll fielen alle drei über ihn her und warfen ihn zu Boden. Dylan setzte sich mit Ellbogen, Fäusten, Knien und Füßen zur Wehr, aber gegen diese Überzahl hatte er keine Chance. Seine Gegner prügelten erbarmungslos auf ihn ein, bis er keine Luft mehr bekam und sicher war, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Seltsamerweise dachte er in diesem Moment nur daran, dass ihm da ein sauberer Dolchstoß doch lieber gewesen wäre. Das Letzte, was er sah, bevor er das Bewusstsein verlor, war ein kleiner, schimmernder Engel in einem durchsichtigen weißen Kleid, der über seinem Kopf schwebte. Und während er in die Dunkelheit hinüberglitt, bemerkte er noch, dass der Engel glänzende weiße Flügel hatte ...
    Nur langsam erlangte er das Bewusstsein wieder. Sein Kopf hämmerte, doch konnte er in seinem benommenen Zustand den Schmerz zunächst nicht lokalisieren. Mühsam kämpfte er sich in die Wirklichkeit zurück und stöhnte, als er an den verrückten Traum dachte, der ihn heimgesucht hatte. Irgendwas mit hohen Bergen, Gälisch sprechenden Schotten und einer Messerstecherei...
    Als er wieder halbwegs zu sich gekommen war, dachte er erst, der Traum würde noch andauern. Er lag auf einem kalten Steinfußboden, es roch nach Schmutz, Tieren, Essensdünsten und Rauch. Außer ihm befanden sich noch weitere Personen im Raum, er konnte ihre Stimmen hören. Alle sprachen Gälisch. Zumindest hielt er es für Gälisch, aber ganz sicher war er nicht. Er versuchte einzelne Worte auszumachen, doch die Leute redeten zu schnell und noch dazu alle durcheinander, und Dylan wusste zu wenig über diese Sprache; außerdem schmerzte sein Kopf zu stark.
    Vorsichtig versuchte er sich aufzurichten, stellte aber fest, dass seine Hände gefesselt waren. Da ihn jede Bewegung anstrengte, blieb er still liegen und blickte sich um. Wo auch immer er sein mochte, es war ziemlich dunkel hier. Kerzenlicht flackerte über die steinernen Wände eines langen Raumes, dessen Ende im Schatten lag. Mehrere Männer in Kilts standen ganz in seiner Nähe und berieten sich leise. Einer davon war unverkennbar Rotnacken. Von Dylans Blickwinkel aus wirkte der Mann wie ein Riese.
    Unauffällig musterte Dylan seine Umgebung. Er wollte um jeden Preis vermeiden, die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zu lenken. An der gegenüberliegenden Wand stand ein niedriger Holztisch, darauf lag ein nackter Mann. Er war unzweifelhaft tot. Eine leise vor sich hin schluchzende Frau war damit beschäftigt ihm mit einem feuchten Lappen, den sie immer wieder in einem hölzernen Eimer ausspülte, Blut vom Gesicht und aus den Haaren zu waschen. Von irgendwoher drangen leise schnüffelnde Geräusche an Dylans Ohr.
    Der Boden war mit feuchtem, modrig riechendem Stroh ausgelegt. Drei Bordercollies lagen in Dylans Nähe und ließen ihn nicht aus den Augen; sie sahen aus, als wären sie bereit, ihn bei lebendigem Leibe zu verspeisen, falls er es wagen sollte, sich von der Stelle zu rühren. Am anderen Ende des Raumes flackerte ein niedriges Feuer in einem in die Wand eingelassenen Kamin. Davor kniete eine Gestalt - den Umrissen nach eine Frau - und rührte in einem kleinen Kessel. Über dem Sims waren merkwürdige Ornamente in den Stein gehauen, aber Dylan konnte sie nicht genau erkennen, dazu war es zu dunkel.
    Wo um Himmels willen war er nur hingeraten?
    Um das herauszufinden, galt es, ein paar Fragen zu stellen. Mühsam richtete er sich auf. Die Männer verstummten augenblicklich und starrten ihn finster, geradezu drohend an. Obwohl seine aufgeplatzten Lippen pochten, fragte er klar und deutlich: »Wo bin ich?«
    Einer der Halbwüchsigen, der mit dem rotblonden Haarschopf, rief etwas und deutete auf ihn. Rotnacken griff erneut nach seinem Dolch, doch der ältere Mann, der aussah wie der typische amerikanische Hinterwäldler - groß, hager und knochig -, hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. Eine lautstarke Diskussion entspann sich zwischen den vier Männern. Niemand achtete mehr auf Dylan.
    Eine dünne, kindliche Stimme meldete sich auf einmal direkt neben seinem Kopf zu Wort. »Sie halten dich für einen Engländer.«
    Dylan fuhr herum und erblickte den Engel, den er schon einmal gesehen hatte. Er kniff die Augen zusammen, da er fürchtete, gestorben und in den Himmel gekommen zu sein. Sein Herz begann wie wild zu hämmern, vorsichtig öffnete er die Augen wieder und betrachtete die Erscheinung. Der Engel hatte

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