Vogelfrei
Anwesenheit weder erwünscht noch vonnöten war. Also nahm er ein frisch gewaschenes Hemd, einen sauberen Kilt und ein Stück Seife und wanderte zum Fluss hinter der Turmruine im benachbarten Tal hinüber. Dort kleidete er sich aus und tauchte zum ersten Mal seit sechs Monaten vollständig unter Wasser, dann seifte er sich vön Kopf bis Fuß ein und schrubbte sich gründlich ab. Er genoss das Bad, obwohl das Wasser eiskalt war, setzte sich auf einen glatten Granitbrocken und ließ sich eine Weile vom Fluss umspülen.
Ein Lied, das er kürzlich gehört hatte, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, und er summte beim Waschen leise vor sich hin, bekam aber den gälischen Text nicht ganz zusammen. Irgendwas über Glasgow, das in Flammen stand, oder Aberdeen ... so was in der Art jedenfalls. Es war himmlisch, sich endlich wieder ganz sauber zu fühlen, vor allem an den Stellen, die man nur schwer erreichen konnte, wenn man sich mit einem Eimer behelfen musste. Er beugte sich zurück, hielt den Kopf ins Wasser und seifte dann sein Haar ein.
Danach kam der Bart an die Reihe, der inzwischen eine beachtliche Länge erreicht hatte, sich aber in Farbe und Beschaffenheit von denen der anderen Mathesons unterschied. Dylans Bart war nicht dick und buschig, sondern schmiegte sich glatt und weich um sein Gesicht. Nachdem er ihn gesäubert hatte, nahm er seinen Dolch und stutzte seinen Schnurrbart, damit ihm die Haare beim Essen nicht mehr in den Mund hingen; dann spülte er sich den Mund und spie aus.
Nachdem er seine Wäsche beendet hatte, betrat er das Innere der Ruine und streckte sich dort nackt, wie er war, auf dem weichen Gras aus, um sich von der Sonne trocknen zu lassen. Das Erdreich roch frisch und würzig und strahlte eine angenehme Wärme aus. Müßig döste Dylan vor sich hin und fragte sich, ob das Leben in irgendeinem anderen Jahrhundert besser sein konnte als dies hier.
Sinanns Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Was haben wir denn hier? Einen Sonnenanbeter. Bereitest du dich schon auf Beltane vor?«
Dylan rührte sich nicht, sondern brummte nur: »Stichel du nur, so viel du willst, Tink. Das kann mich heute gar nicht kratzen.«
Sie schnalzte unwillig mit der Zunge. »So macht es überhaupt keinen Spaß, dich zu ärgern.«
Dylan kicherte. »Wie traurig.« Er räkelte sich wie eine Katze und rollte sich dann auf die Seite, um weiterzuschlafen.
Doch Sinann gab keine Ruhe. »Hast du über mein Angebot nachgedacht? Willst du nicht doch die magischen Künste erlernen?«
Dylan rollte sich wieder auf den Rücken und setzte sich auf. Die Sonne hatte ihn benommen gemacht, und er brauchte einen Moment, um wieder zu sich zu kommen. Was auch immer man ihn zu glauben gelehrt hatte - Sinanns Existenz konnte er nicht leugnen. Zwar war er sicher, einige Antworten zu kennen, aber ganz bestimmt nicht alle, also sollte er sich vielleicht lieber doch nicht weigern, von Sinann zu lernen, sondern erst einmal herausfinden, was sie ihm beibringen konnte. Endlich sagte er: »Und du glaubst, es nutzt etwas, wenn ich auf deinen Vorschlag eingehe?«
»Aye, da bin ich ganz sicher.«
»Ich habe aber nicht vor, die Sidhe anzubeten.«
Die Fee schnaubte. »Das verlangt ja auch niemand von dir. Tu, was du für richtig hältst. Lern von mir, aber bete mich nicht an. Das überlasse ich anderen, die es nötiger haben.«
Seufzend gab Dylan sich geschlagen. »Also gut. Lass uns anfangen.«
Sinann sprang auf, begann zu kichern und führte einen kleinen Freudentanz auf, der Dylan verdächtig an einen Jig erinnerte. Er langte nach seinen Kleidern, doch sie wehrte ab. »Die brauchst du nicht. Du wolltest doch die Sonne auf deiner Haut spüren, also lass dich nicht davon abhalten.«
Er blickte zu seinem Kilt und dem Hemd und zuckte ergeben mit den Achseln. »Okay, Tink, dann weih mich mal in die Geheimnisse der Sidhe ein.«
»Zuerst benötigen wir ein Feuer.« Dylan stöhnte, doch sie befahl: »Hol den abgestorbenen Ast dort her und brich ihn in Stücke. Es muss kein großes Feuer sein.« Dylan gehorchte, schichtete die Aststücke in der steinernen Feuerstelle auf, und Sinann entzündete sie mit einem Fingerschnippen. Dylan hoffte, dass der Rauch nicht die Aufmerksamkeit der Soldaten unten in den Barracken erregte, war aber beruhigt, als er sah, dass der Wind die feinen Schwaden über die Mauern hinwegwehte. Außerdem lagen die Barracken entgegengesetzt zur Windrichtung, daher würden die Engländer das Feuer auch nicht riechen können.
»Gut,
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