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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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Bedürftigen leichter mit Nahrung versorgen.«
    »Ihr betrachtet das als eine Art Sozialfürsorge«, sagte Dylan auf Englisch, wohl wissend, dass Malcolm den Begriff nicht verstehen konnte.
    Dieser dachte einen Augenblick lang darüber nach, dann nickte er. »Aye. Gut ausgedrückt.«
    »Aber ihr könnt bei euren Raubzügen getötet werden.«
    »Du kannst auch beim Graben eines Brunnens ums Leben kommen, aber das hält die Leute nicht davon ab, welche zu graben. Viehraub ist ein alter Brauch, es gibt dabei strenge Regeln, die jeder kennt und befolgt. Du nimmst nur Vieh mit, sonst nichts, denn alles andere wäre Diebstahl. Wirst du mit der gestohlenen Herde erwischt, musst du Schadensersatz leisten. Widerspruch ist in diesem Fall zwecklos. Wird die fremde Herde auf deinen Weiden entdeckt und du kannst nicht nachweisen, von wo du sie hergetrieben hast, ist gleichfalls eine Wiedergutmachung fällig. Und du darfst nie mehr nehmen, als der Eigentümer verschmerzen kann.«
    »Das würde dem Sinn und Zweck dieser Sitte widersprechen.«
    Ein breites Grinsen trat auf Malcolms Gesicht. »Für einen Burschen aus den Kolonien bist du gar nicht so dumm.«
    Dylan lachte, holte tief Atem und sog den staubigen Geruch nach altem Stroh und Pferdemist ein. Kaum zu glauben, dass er, der ein Diplom der Vanderbilt University sein Eigen nannte, hier in diesem Stall saß und über Viehdiebstahl fachsimpelte, als wäre es ein Kavaliersdelikt. Allmäh-lieh kam er zu dem Schluss, dass er vielleicht lieber Geschichte als Hauptfach hätte wählen sollen, oder Zoologie, denn er verstand überhaupt nichts von Tieren, er hatte ja in seinem Leben noch nicht einmal einen Hund besessen.
    Zweifelnd blickte er auf den zu seinen Füßen dösenden Sigurd hinab. Nun ja, zumindest bis jetzt nicht.
    Dann wandte er sich wieder an Malcolm. »Wieso hast du eigentlich nie geheiratet, Malcolm?« Als ein Schatten über das Gesicht des älteren Mannes huschte, verbesserte er sich rasch: »Du warst einmal verheiratet, nicht wahr?«
    Malcolm seufzte. »Aye, mit einem Mädchen aus dem Frazer-Clan, mit feurigen Augen und einem Körper, in dem ein Mann sich verlieren konnte.«
    Dylan unterdrückte ein Grinsen. »Und hast du das getan?«
    Nun musste auch Malcolm lächeln. »O ja, in der Tat, und es gab Zeiten, da dachte ich, ich würde nie mehr zurückfinden.« Als Dylan in schallendes Gelächter ausbrach, fuhr Malcolm mit weicher Stimme fort: »Sie gebar mir viele Kinder, aber nur drei überlebten das erste Jahr.«
    Dylan wurde das Herz schwer, als ihm klar wurde, dass keines dieser drei Kinder mehr am Leben war. Er nahm an, Malcolm werde das traurige Thema nicht weiter verfolgen, aber in dessen Augen war ein träumerischer Ausdruck getreten, und er sprach langsam weiter, wobei er seine Worte so vorsichtig wählte, als müsse er sich den Weg durch ein Minenfeld bahnen.
    »Meine Tochter war ein lebhaftes, fröhliches Mädchen, ein richtiges Plappermäulchen, dessen Mund nie stillstand. Sie war vier Jahre alt, als sie von einem Pferd gegen den Kopf getreten wurde. Es war ein Unfall, ein unglücklicher Zufall, dass das Tier gerade ausschlug, als sie hinter ihm stand.
    Der Kummer über den Tod unserer Tochter brachte meine Frau fast um. Sie war danach nie wieder so wie früher, und als im darauf folgenden Jahr eine Typhusepidemie ausbrach, erlag auch sie dieser Krankheit. Ich hatte meine beiden Söhne rechtzeitig in die Burg geschickt, um sie vor der Ansteckung zu bewahren, und nachdem ich ihre Mutter begraben hatte, verpachtete ich mein Land und kam ebenfalls hierher.
    Als mein jüngerer Sohn alt genug war, schickte ich ihn auf die Weiden, um das Vieh zu hüten, und dort wurde er eines Nachts von MacDonells, die unsere Rinder stehlen wollten, im Schlaf ermordet.« Malcolms Stimme schwankte, aber er erzählte die Geschichte zu Ende. »Und vor einigen Jahren starb mein ältester Sohn bei einem Überfall auf die Dragoner unten im Tal.«
    Aus einem Impuls heraus fragte Dylan: »Bei demselben Überfall, bei dem auch Iains Vater ums Leben kam?«
    Malcolm nickte, blickte zu Boden und schwieg lange, dann sah er Dylan an. »Donnchadh war sowohl mein Onkel als auch mein Laird, und sein Tod hat mich schwer getroffen. Aber glaub mir, es gibt nichts Schlimmeres auf der Welt, als den blutüberströmten Leichnam deines Kindes in den Armen zu halten. Ich habe es dreimal durchgemacht, und mein einziger Trost ist, dass mir dies nicht noch einmal widerfahren kann.«
    Es dauerte eine Weile,

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