Vogelfrei
Novize, nun knie vor der Flamme nieder.«
Dylan tat, wie ihm geheißen, hockte sich auf die Fersen und holte tief Atem. Er begann, ein merkwürdiges Wohlbehagen zu empfinden. Sinann sagte: »Dieser Turm ist ein magischer Ort, musst du wissen. Ein großer Held starb hier. Sein Name war Fearghas MacMhathain. An einem schwarzen Tag, als die anderen Männer des Clans das Vieh auf die Weiden trieben, kämpfte er allein, nur mit einem Schwert in der Hand gegen hundert Angreifer aus Killilan unten im Tal. Ganz allein, ohne jede Hilfe, hielt er den Feind zurück.«
»Er ganz allein?«
Sinanns Augen wurden schmal. »Zweifelst du etwa an meinen Worten? Die Angreifer waren Wikinger; große, raue Männer, die Glen Ciorram ausplündern, die Frauen schänden und die Kinder als Sklaven verschleppen wollten. Aber Fearghas trat ihnen mit seinem mächtigen Schwert entgegen, und die Feinde sanken dahin wie Schilf im Wind.
Doch während des Kampfes wurde er selbst verwundet, achtete aber nicht auf die Verletzung, obgleich sie ihm große Schmerzen bereitete. Als die Schlacht vorüber war und er zwischen den Leichen der besiegten Feinde stand, spürte er, dass das Leben in ihm erlosch. So schleppte er sich mit letzter Kraft zu diesem Turm, wo er zusammenbrach und starb. Sein Blut tränkte die Erde, genau dort, wo du jetzt kniest. Als die Sidhe dies sahen ...«
»Mit anderen Worten: Als du das sahst.«
Sinann runzelte die Stirn. »Aye, ich und einige andere. Die Sidhe sahen dies und beklagten den Verlust dieses so schmählich niedergestreckten großen Kriegers laut. Als der Leichnam von dem trauernden Clan unter Wehgeschrei davongetragen wurde, blieb dieser Blutfleck erhalten. Bis zum heutigen Tag ist er hier zu sehen.«
Dylan sprang mit einem Satz hoch. »Wie bitte?« Er untersuchte das Gras, in dem er soeben gekniet hatte. »Blut?« Vorsichtig berührte er mit dem Zeh den Abdruck seiner Knie.
»Schau genauer hin.«
Wieder kniete er nieder und teilte mit den Fingern das Gras. Die Spitzen der Halme leuchteten sattgrün, doch darunter zeigten sich dunkelbraune Streifen, die sich an den Wurzeln leuchtend rot verfärbten; die Erde darunter war gleichfalls rot. Dylan bohrte einen Finger hinein, holte einen kleinen Klumpen heraus und zerrieb ihn zwischen den Fingerspitzen. Die Krumen schimmerten so rot wie frisch vergossenes Blut. In Tennessee und Georgia hatte Dylan schon oft rote Tonerde gesehen, und dies war ganz eindeutig keine. Dies war mit Blut getränktes Erdreich.
Sinann fuhr mit ihrer Geschichte fort: »Seit diesem Tag ist der Turm nie wieder angegriffen worden.«
»Die Engländer waren nie hier?«
»Ich sagte, der Turm ist nie wieder angegriffen worden, nicht wahr?« Dylan konnte nicht umhin, ihr in diesem Punkt Recht zu geben. »Viele Jahrhunderte lang war dies ein heiliger Ort, bis die Priester kamen und die Menschen in ihre Kirchen lockten. Aber noch immer strahlt dieser Turm eine gewisse Macht aus, und ein Mann, der weiß, was er tut, kann sich diese Macht zu Nutze machen. Unter deinen Füßen befindet sich das Blut deiner Vorfahren, a Dhilein, und die Erde, von der du stammst. Es ist dein Erbe, auch wenn du nicht hier geboren bist.«
Dylan streifte sich die Erdkrumen von den Fingern und ließ sie zu Boden fallen. Ehrfurcht schwang in seiner Stimme mit, als er fragte: »Okay, wo fangen wir an?«
»Hol deinen silbernen Dolch. Wir beginnen damit, dass wir ihn weihen. Lege Klinge und Heft auf deine Hände und strecke sie vor.« Dylan gehorchte. »Und nun halte ihn in den Rauch des Feuers. Dabei stellst du dir vor, wie alles Unreine von diesem Rauch davongetragen wird. Die negative Energie all derer, die diese Waffe vor dir benutzt haben, löst sich in Luft auf.« Dylan schloss die Augen und konzentrierte sich. Er hatte sich intensiv genug mit östlichen Kampftechniken beschäftigt, um so einiges über negative Energie zu wissen, und es fiel ihm nicht schwer, sich vorzustellen, wie sein Dolch von allem Bösen gereinigt wurde. Und davon schien es eine Menge zu geben.
Schließlich sagte Sinann: »Nun nimm ihn in die rechte Hand und halte ihn hoch. Du bist doch Rechtshänder, oder?« Dylan nickte und hielt den Dolch in die Höhe. Sinann fuhr fort: »Lass die Sonne darauf scheinen. Spüre, wie ihre Strahlen dich durchdringen. Koste die Kraft aus, die die Sonne dir schenkt. Deswegen trifft es sich auch gut, dass du deine Kleider abgelegt hast.« Dylan holte tief Atem. Er meinte tatsächlich, die Sonne nicht nur auf seiner
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