Vogelweide: Roman (German Edition)
die er gern auch gemacht hätte, wobei er wusste, wie notwendig dafür eine langjährige Übung war, um ein Gefühl für das Metall zu bekommen, wie es zu schmelzen, zu biegen, zu schmieden ist. Einmal hatte er unter ihrer Anleitung versucht, einen silbernen Teelöffel zu schmieden, und dabei bemerkt, wie fern seine Handgriffe ihrer Kunst waren. Es war, als hätte er versucht, mit seinem höchst mittelmäßigen Können eine späte Klaviersonate von Beethoven zu spielen.
Er erzählte von seinem Arbeitstag, von dem genau genommen nichts zu erzählen war, weil er sich in Details auflöste, die nur Luhmann beschreiben konnte. Wenn Eschenbach aber anfing, darüber zu reden, waren es nicht logische Abfolgen, vielmehr ein Nacheinander, Berechnungen von Vorgaben, die wiederum aus Abläufen gewonnen wurden. Obwohl es andererseits auch durchaus lustvoll war, wenn er oder alle gemeinsam ein Problem gelöst hatten. Aber er sprach weniger über die Arbeit als über seine beiden Gesellschafter, mit denen er damals die Firma leitete, vor allem über einen, der ihm zuwider war.
Den hasst du aus tiefstem Herzen, sagte Selma, als habe sie als Pädagogin jahrelang das aktive Zuhören geübt, feilte dabei, fragte nach, lachte oder schüttelte den Kopf. Erzählte sie, ließ sie die Arbeit einen Augenblick ruhen.
Durch die fremde Betonung waren die Wörter wie neu mit Bedeutung aufgeladen, erschienen den Dingen viel näher. So ihre Frage, ob er glücklich sei. Oder die Feststellung, heute habe ich etwas Schönes gesehen, wobei sie das Ö dehnte. Ja, dieses Schöne war, wenn sie es beschrieb, schön in dem Sinn, den das Wort einmal hatte, es umfasste das Staunen, das Überraschtsein, und dann die Beschreibung, der Himmel, sagte sie, zog so schnell, und plötzlich wurde aus ihm ein Schwarm Tauben herausgeschüttet. Kann der Himmel ziehen, überlegte er. Vor allem mochte er ihre Erzählungen vom Markt, von den Türken, die ihr Gemüse mit Kleinlastern durch Griechenland, Serbien, Österreich nach Berlin schafften, von der jungen Kollegin, ebenfalls eine Polin, die am Nebenstand die Strümpfe verkaufte und ein Modeimperium aufbauen wollte, eine so mutige wie einfallsreiche Frau, die Japanisch lernte, weil sie die japanische Literatur und Kunst bewunderte und ihren Liebsten, einen Taugenichts, einen Wolkengucker, nach Japan einladen wollte, nach Kioto, wenn denn ihre Modefirma einmal Geld abwürfe, irgendwann.
Sie zeigte ihm den Rohguss einer Brosche. An einer Stelle war wie beim Bleigießen ein kleiner Auswuchs zurückgeblieben. Beide beugten sich darüber und befragten die Form.
Rate, sagte sie.
Eine Lilie?
Kopfschütteln,
Ein Tretboot?
Quatsch.
Ein Stier?
Genau. Lass dir das ein Zeichen sein für heute Nacht.
Manchmal, nachts, sagte er in seiner Hütte so etwas: Ich war glücklich mit dir.
Wenn er es nur dachte, klang es ihm falsch und peinlich. Aber wenn sie da war, war es einfach und vor allem wahr. Sein Wunsch nach ihrer Gegenwart.
Beim zweiten Anruf hatte er Anna nochmals gefragt, woher sie seine Telefonnummer habe. Von Selma. Ewald sei in Dubai wegen einer Ausschreibung. Ihn werde sie diesmal nicht sehen. Aber mit Selma habe sie sich getroffen. Es sei ein sehr schöner Abend gewesen. Selma habe gekocht. Es sei immer wieder etwas merkwürdig, Selma an dem Herd und dem Küchentisch hantieren zu sehen, an dem sie, Anna, jahrelang das Essen für Ewald und die Kinder zubereitet hatte.
Übrigens, Selma ist schwanger. Und ich soll dich natürlich von ihr grüßen.
Wie sich das Natürlich anhörte.
Es ist gut für Selma, gut, dachte er, dass sie, die schon immer ein Kind haben wollte, egal, ob verheiratet oder nicht, jetzt doch noch ein Kind bekam.
Er erinnerte sich an eine der frühen Diskussionen. Selma bereitet in der Küche Rinderrouladen zu, während er ihr erzählte, dass er als Kind so gern Kartoffelmus gegessen habe. Darüber war wieder einmal die Frage nach einem Kind aufgekommen. Eine Frage, die bei allen möglichen Gelegenheiten und zu jeder Tageszeit aufkommen konnte. Aber das Kartoffelmus als Kindheitserinnerung war, da mit seinem Wohlgefallen verbunden, ein besonders günstiger Anlass.
Warum willst du kein Kind?
Am Küchenfenster stehend hatte er gesagt, mit der Tochter aus seiner ersten Ehe reiche sein Engagement für die Arterhaltung. Er sagte, es mache ihn in ihren Augen vielleicht nicht sympathisch, aber Kinder interessierten ihn eigentlich nicht. Bei dem Zusammenleben mit Kindern, also deren Aufzucht,
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