Vogelweide: Roman (German Edition)
unterließ es dann aber. Sie hatten nie darüber gesprochen, nur das: Es tut mir gut. Und das sagte auch er: Du tust mir gut.
An einem Samstag kam Selma, hatte für das Frühstück eingekauft, Baguette, Croissants, Schinken und Käse, die sie bei ihrem Franzosen holte, einem Berliner, der von sich behauptete, aus der Bretagne zu kommen, tatsächlich aber nur in der Fremdenlegion gewesen war. Und sie stellte ihm eine kleine Kiefer, die wie vom Wind in eine Richtung gebogen und zerzaust war, auf den Tisch. Ein Bonsai. Das war ihr Geschenk zu seinem zweiundfünfzigsten Geburtstag. Sie hatte eine wunderbare Begabung, Geld auszugeben, ihres, aber auch seines. Nicht dass sie es für sich nahm, sondern sie beschenkte ihn.
Er betrachtete die kleine sturmgebeugte Kiefer und sagte: Es ist ein sprechendes Geschenk, lachte und nahm sie in die Arme. Schon ziemlich mitgenommen, der Baum wie der Beschenkte.
Aber garantiert nicht morsch, sondern sturmerprobt und, ich habe mich erkundigt, dieser Baum kann, bei guter Pflege, leicht über hundert Jahre alt werden. So. Du setzt dich, und ich decke. Ich meine das wörtlich.
Gut so, sagte er und lachte laut und sah sie vor sich sitzen, und neben ihr auf dem Tisch diese windschiefe Kiefer.
Der Tanker fuhr in Richtung der Elbmündung. Möwen hingen in der Luft. Wind, dieser immerwährende Wind, der mit einem abgestuften feinen Rauschen durch das Holzgitter des Podiums ging. Er dachte an Phyllis und wie die Winde sein Ohr finden. Hin und wieder war es für einen Moment, als fände sich eine Melodie, die aber schnell von einem gleichmäßigen Rauschen, Knattern abgelöst wurde. Dann wie ein Luftholen ein Moment Stille, eine Stille, die auf den nächsten Hauch oder Luftstoß zu warten schien.
Selma hatte ihm vorgeschlagen, auf der einen Seite seiner Terrasse eine kleine Landschaft mit den so kunstvoll beschnittenen Bäumchen anzulegen. Eine Landschaft, die er von seinem Lesesessel im Blick haben könne. Nachts müsse sie durch eine kunstvolle Beleuchtung zur Geltung gebracht werden. Und wie bei allem, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte, war sie darangegangen, hatte sechs Bäume und drei buschartige Gebilde ausgesucht, die alle in eine Richtung wie vom Wind gezogen waren – höchst kompliziert, wie er sah, mittels kleiner, die Richtung bestimmender eingefärbter Drähte. Die Bonsais waren nicht billig, aber er hatte das Geld und Selma die Hand und das Auge für die bewegte Baumlandschaft. Selma hatte eine Lichtdesignerin mit dem schönen Namen Iris – war das ein Künstlername? – aufgetrieben, die eine verdeckte, auch veränderbare Beleuchtung installierte.
Er saß, nach einem Tag, der von Ärger, Auseinandersetzungen, Reden und nochmals Reden, vom Dauergeflacker des Screens bestimmt war, in seinem bequemen Lesesessel und schaute hinaus auf diese ferne Landschaft der Stille und der Winde.
Auch Eschenbach kochte, beherrschte aber, mit sicherem Gelingen, nur sieben Gerichte. Eins hatte er von seinem englischen Freund gelernt. Der wiederum hatte das Rezept in dem Roman Der Butt gelesen, den er in dem Jahr seiner Feldforschung mit nach Togo genommen hatte. Das Buch hätte er nie und nimmer, sagte er, verstärkte das durch ein Never-never , zu Ende gelesen, hätte es in einem Umkreis von 100 Kilometern einen Buchladen gegeben. So aber hatte er sich durchgearbeitet und war belohnt worden, als er auf ein darin beschriebenes Rezept stieß, Rinderherz mit Pflaumen. Ein ganzes Rinderherz wird, eine chirurgische Arbeit, aufgeschnitten, gesäubert, mit Backpflaumen gefüllt, sodann mit Zwirn zugenäht und drei Stunden lang gegart. Als Beilage Erbsen und Salzkartoffeln, so die Variante, die Eschenbach entwickelt hatte. Er hatte gefragt, ob es Einwände gegen ein doch sehr deutlich organbezogenes Essen gebe, wobei er versprechen könne, dass es ausgezeichnet schmecke. Ewald und Anna hatten die Köpfe geschüttelt und tapfer gesagt, wir sind dabei. Selma hatte es schon zweimal bei ihm gegessen und versicherte, es schmeckte toll. Das köchelt so vor sich hin, wir können in der Zeit reden und etwas trinken.
Sie kamen mit einem großen Blumenstrauß, selbst gepflückt im Garten, betonte Anna, und Ewald hatte einen Whisky mitgebracht, der auf irgendeiner kleinen schottischen Insel gebrannt und gelagert wurde, zwanzig lange Jahre lang.
Sie betrachteten das kleine Ölbild von Grosz, besonders Anna zeigte sich begeistert, ein Grosz, wunderbar, auch die Zeichnungen von Schmidt-Rottluff,
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