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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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sie nach einer Woche anrief, sagte er zu.
    Das freut mich, hörte er ihre Stimme und nach einer kleinen Pause, sehr.
    Später erfuhr er von einer Bekannten, einer gelegentlich für sie arbeitenden Soziologin, dass sie Eschenbach empfohlen habe. Diese schief lächelnde Schlange hatte sich also erst später seinen Essay besorgt, oder, was wahrscheinlicher war, von ihrem Assistenten lesen lassen.

    Als er dem englischen Freund am Telefon von dem Angebot erzählte, sagte der: Hat die ein Rad ab? Die tönt doch immer von ihrer objektiven, mathematisch überprüfbaren Befragung. Jetzt das Verlangen messen. Wie geht das bei der im Kopf zusammen?
    Sie glaubt sogar an die Prophezeiungen des Nostradamus.
    Er lachte. Und die Madame hat nun jahrzehntelang Meinungen erforscht und damit auch die Politik bestimmt. Aber solange es dir Spaß macht und die ordentlich zahlt, ist es doch egal.
    Genau, es macht mir Spaß. Und es war für Eschenbach ein befreiendes Gefühl: Er musste nicht mehr seriös sein. Ich habe zugesagt.
    Gut so, ich bin gespannt. Und dann erzählte der Freund von seiner Sammlung selbst gemalter Friseurschilder aus den Dörfern der Ewe. Wunderbare Exemplare, die Frisuren nach Hollywoodschauspielern anbieten. Du wirst staunen, diese kühnen Übertragungen, George Clooney, den du nur erkennst, weil sein Name daneben steht, aber in George Clone abgewandelt. Zufall? Spielerei? Jedenfalls verfinkelt gut.

    Der Wind strich mit einem raschelnden Rauschen über den Strandhafer. Er saß in dem kleinen Cocktailsessel vor der windgeschützten Seite der Hütte, trank grünen Tee und beobachtete, wie die tiefstehende Sonne die Aufbauten eines Tankers weiß leuchten ließ.

    Eine Dachwohnung, die Eschenbach sieben Jahre nach der Firmengründung gekauft hatte, war nach einem aufwendigen Umbau fertig geworden. Ein einziger durchgehender Raum, aufgefächert und mit einer Fensterflucht zu einer weiten, mit Oleander bestandenen Terrasse, die den Blick zum Zoo öffnete. Daran war ihm gelegen. Manchmal, morgens, im Sommer, wenn er die großen gläsernen Schiebetüren offen stehen ließ, wurde er vom Gebrüll der Löwen geweckt. Auch die anderen Rufe der eingezäunten Wildnis lernte er schnell zu deuten. Nicht so leicht war das Orgeln der Wasserbüffel von den Brunftrufen des Yaks zu unterscheiden. Die Rufe waren nur von fern und undeutlich zu hören und nur dann, wenn sie nicht vom diffusen Lärm der Stadt überdeckt wurden, also früh morgens oder an Feiertagen.

    Er hatte Anna auf dem Atelierfest von seiner Wildnis erzählt, seiner Serengeti vor der Haustür, und sie hatte gesagt, die musst du mir einmal vorführen.
    Abgemacht, sagte er und war beglückt, dass sie nur mir und nicht uns gesagt hatte. Es muss aber ein Sonntagmorgen sein, wenn die Stadt noch schläft. Und Ostwind ist wichtig.
    Gut, wir kommen.
    Da war es wieder, dieses enttäuschende Wir .

    Über das Wochenende besuchte ihn Selma. Manchmal auch werktags, auch in der Nacht, wenn er spät aus dem Büro kam. Sie brachte eine Flasche Wodka mit, Wodka mit einem Halm Büffelgras in der Flasche. Sie saßen auf der Terrasse, und sie erzählte von ihren Erlebnissen auf dem Markt: von der Blumenhändlerin, die in einem Vorort von Berlin Glatthaar-Dackel züchtete. Eine Rasse, die vom Aussterben bedroht war. Sie aßen und blickten über das nächtliche Berlin, hörten das Rauschen, entfernt das Anfahren der Autos. Dann wieder Stille, die aber immer noch einen Laut hatte. Regen kam auf, die ersten schweren Tropfen fielen, er stellte die Liegen unter das Vordach, sie rief von drinnen: Komm.
    Dieses so vertraute, mit ihr verbundene Komm. Das war der schöne Selma-Imperativ, der Nähe und Lust versprach, egal ob in der Liebe oder beim Essen.

    Das Überraschende für ihn war, wie vorsichtig, wie bedachtsam ihre Handgriffe bei all ihrem Tun waren, in ihrer oder seiner Küche, so wie es in ihrer Arbeit nichts Heftiges, Ruckartiges, hektisch Kraftvolles gab, es waren eher gleitende Bewegungen, und sonderbar genug, was ihn manchmal, wenn sie zusammen waren, lachen und sie den Kopf heben und kurz fragen ließ, was ist?, und er nichts sagte, es ist gut , dann waren es diese Gedanken, die ihn überkamen, mit welcher Vorsicht, Achtsamkeit sie die Feile führte oder in den Brenner blies, um die Flamme zu einer Spitze zu verstärken. So bedachtsam näherte sie sich auch, waren sie zusammen, ihm, ein ruhiges Andrängen, zärtlichfeste Griffe. Mehrmals hatte er überlegt, es ihr zu sagen,

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