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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Plan, und unser Sinologe übersetzt etwas von einer anderen Richtung, und der chinesische Übersetzer zeigt auf unser Modell und redet und redet und langsam begreifen wir, die achtspurige Autobahn ist schon fertig, sie ist in den vergangenen fünf Monaten, seitdem wir zuletzt da waren, gebaut worden und führt genau durch unseren geplanten Universitäts-Campus. Wir haben uns angesehen. Niemand verdrehte die Augen. Das Gesicht blieb gewahrt. Gut, dann müssen wir umplanen. Der Mann, von dem wir dachten, er sei der Entscheidungsträger und werde später einmal Bürgermeister der noch zu bauenden Stadt, lachte und ließ einen hochprozentigen Schnaps bringen. Ihr kennt ja Geschmack und Wirkung. Wir dachten, jetzt stoßen wir auf die Zusage und den Baubeginn an. Aber erstmal wurden wir in Autos verfrachtet und zu einem Essen gefahren. Unvorstellbar die Menge, unvorstellbar die Toaste. Immer dachten wir jetzt, jetzt kommt das erlösende: An den Start.
    Mitten im achten oder neunten Gang wird dem Entscheidungsträger, dem künftigen Bürgermeister, der in den bisherigen Verhandlungen höflich seine Wünsche geäußert hatte, mit vielen Verbeugungen ein Zettel übergeben. Der Bürgermeister liest, lacht, sagt, was die Übersetzer übersetzen, wir müssen nach Guangzhou, wo der zuständige Mann für, der Sinologe übersetzt Bauwesen, der Chinese übersetzt Luftfahrt, meint wohl die Wolkenkratzer, was ja nicht ganz falsch wäre, immerhin haben wir drei Gebäude mit je fünfzig Stockwerken geplant, auf alle warte. Eine Maschine stehe bereit.
    Wir werden in einer Autokolonne zum Flughafen gebracht, dreißig Mann und Frauen hoch, werden direkt vor die Maschine gefahren. Start, Flug, Einnicken, der siebzigprozentige Schnaps, der ja mit dem Kaffee streitet, muss abgebaut werden, Landung, Autokorso durch die Stadt, ein Parteihaus von brutaler Hässlichkeit, ein Saal, wir warten, ein Chinese kommt, hätte das illegitime Kind von Mao sein können, ziemlich groß, dick, fest, nichts Weiches, mit einem wunderbar runden, lachenden Gesicht, man sah beim Lachen häufiger die oberen Zähne, sehr gepflegte, schöne Augenbrauen, waagerecht, wie draufgepinselt. Er beginnt zu reden. Unser Sinologe übersetzt, und ein chinesischer Übersetzer übersetzt. Der freundliche Mao-Sohn redet und redet, der Sinologe übersetzt und der Chinese übersetzt, und es kommt jedes Mal etwas anderes heraus, nur die Bäume, das stimmt, wir fragen nach, ob das, was da gesagt wird, stimme. Nein, kein Zweifel. Es bleibt dabei, er hat über Bäume geredet. Er ist ganz begeistert von den Bäumen in unserem Modell, er erzählt, wie wunderbar Bäume sind, sie sind die Lunge der Erde, Schnaps wird gereicht, wieder dieser hochprozentige, wir trinken auf den Ginkgo. Der chinesische Übersetzer sagt Blasebalg?, auch gut, Maos Sohn erzählt von dem Ginkgobaum und zeigt auf das Modell, das wir aus Deutschland mitgeschleppt haben, zeigt auf einen der Wattebauschbäume, der etwas zweigeteilt gebauscht ist, und wir verstehen Ginkgo, aber dann redet der chinesische Übersetzer vom Flehen stillender Mütter, der Sinologe übersetzt Laktosebringerinnen, es redet aus dem Funktionär, aus seiner freundlichen Rundung heraus, von dem Ginkgo, nicht Laubbaum, nicht Nadelbaum, er hebt die Hand mit den manikürten Fingernägeln und sagt, der Ginkgo sei eine eigene Ordnung, er spricht von generativen Organen. Wir sehen uns an, und ich denke sofort an die strenge Anna. Er spricht von begeißelten Spermatozoiden. Wir sehen uns an. Er sagt, der Ginkgo brennt, aber er treibt wieder aus. Uns schwirrt der Kopf. Wir warten, dass er sagt: So. Sie können loslegen. Morgen legen wir den Grundstein, und dann ab die Post. Er sagt, es kann nicht genug Ginkgos geben. Er hebt das Glas. Er trinkt auf ex. Und wieder, auf den Ginkgo, auf die Architekten, auf die milchgebenden Frauen, wenn der Sinologe es denn richtig übersetzt hat, auf die Zukunft. Auf ex. Die Chinesen waren, man kann es nicht anders sagen, blau, das heißt rot, sie waren rot im Gesicht, sie schwitzten. Einer, was sehr ungewöhnlich ist, umarmte mich. Freundlich lustige, wunderbare Menschen. Der einzig Nüchterne war der Funktionär, der wahrscheinlich durch seine Arbeit abgehärtet war oder Maos Lieblingsessen, gesottenen Schweinebauch, gegessen hatte. Auf ex.
    Ich danke, mit schwerer Zunge, die beiden Übersetzer arbeiten. Ich entschuldige mich, dass meine Zunge schwer ist. Der chinesische Dolmetscher übersetzt. Die Chinesen lachen, sie

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