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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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einen Satz vor, den er als Beispiel gebracht hatte. Gefragt ist nicht eine mögliche Antwort, sondern das schon Gewusste. Ein Zeugma, sagte sie. Insbesondere aber habe ihr, sie spreche da als Meinungsforscherin, sein Begriff des diskursiv epischen Fragens gefallen. Auch die Beispiele, die er angeführt habe.
    Er fühlte sich, obwohl die Frau ihm suspekt war, abermals geschmeichelt. Ja, er musste sich selbst regelrecht zur Ordnung rufen, um seine Distanz zu wahren und nicht wie ein Schüler, dessen Aufsatz vom Lehrer gelobt wird, zweimal bereitwillig danke zu sagen. Sie hatte ihn dann fast übergangslos gefragt, ja, gebeten, an einem Projekt mitzuarbeiten, das Einfühlungsvermögen, Interesse, Kombinatorik erfordere, ein Projekt, das ihr sehr am Herzen liege, das sie seit Jahren verfolge, wofür all die anderen Erhebungen, Befragungen, genau genommen also ihre ganze bisherige Arbeit, lediglich eine Vorbereitung gewesen sei. Und außerdem und ganz wichtig, er komme vom Fach, habe einen ausgezeichneten Ruf in der Informationstechnologie – man muss, wenn man in einem Fach derart gut ist, nicht auch noch kaufmännisch gut sein. Er sei für diese Grundlagenforschung genau der Richtige. Sie machte eine Pause, hatte ihn dann mit diesem von unten kommenden, leicht schräg gelegten Lächelkopf angesehen und gesagt, für diese sehr individuelle Arbeit brauche sie einige Mitarbeiter, wenige, ausgewählte, sozusagen die Tafelrunde des König Artus.
    Er sah sie an, gab sich Mühe, gelassen und gleichmütig zu blicken und dachte zugleich, die Frau ist durchgedreht.
    Und das Thema?, fragte er.
    Das Begehren.
    Das Begehren?
    Ja. Dieses Streben nach dem Glück und der Liebe ist bestimmbar. Wir müssen es erforschen. Die Lust, die nicht von der Vernunft geleitet wird, sagt Aristoteles. Sie sei über den Weg der Wünsche für alle Handlungen der bestimmende Antrieb in der menschlichen Natur. Mich interessiert, wie und was sich die Partner vom anderen wünschen. Wir haben in unserem Institut eine Skala der Persönlichkeitsstärke entwickelt. Etwas Ähnliches wäre eine Skala der Attraktion. Ich meine nicht diese gängigen Dinge, gutes Aussehen und Status, sondern was leitet den Blick, durch den es zwischen den Geschlechtern zu diesem Wunsch nach Intimität kommt. Das ist das Geheimnis, das zu verstehen es gilt.
    Er lauschte einen Augenblick dieser altertümlichen Wendung nach: Das zu verstehen es gilt, und dachte, was sie meint, ist die Liebe als Meinungsumfrage. Er fragte sich, wie diese Frau, die vor ihm saß, die Politik im Lande mit ihren Meinungsumfragen hatte beeinflussen können. Oder war dieses Projekt die Folge einer bei ihr einsetzenden Altersverwirrung?
    Wie wird dieses drängende, alles überwältigende Gefühl ausgelöst, der Wunsch, den anderen zu besitzen.
    Besitzen?
    Ja, nichts anderes ist der Wunsch nach Nähe, nüchtern betrachtet. Denn dieses Wunsches wird man sich erst im Verlust überdeutlich bewusst. Im Verlassenwerden. Das sind doch auch Ihre Erfahrungen, oder?, fragte sie mit einem dreisten Grinsen.
    Einen Moment glaubte er und traute es ihr auch zu, sie habe von seiner Trennung gehört, aber noch bevor er etwas antworten konnte, hatte sie ihm die Hand auf den Arm gelegt und gesagt, Sie müssen überlegen. In Ruhe. Selbstverständlich. Tun Sie das. Ich rufe Sie in einer Woche an.
    Danach hatten sie sich über eine Theaterinszenierung unterhalten.
    Ein paar Tage später bekam er einen Brief, mit dem Angebot: 300 Euro pro Stunde.
    Sie rechne mit mindesten 100 Interviewstunden.
    Eine merkwürdige Recherche, deren Ziel die Berechenbarkeit des Begehrens sein sollte. Er musste sich nicht einmal einreden, dass ihn die Frage interessiere. Sie interessierte ihn. Und ihm war auch sogleich bewusst, welches ökonomische Interesse sich dahinter verbarg. Mit dieser Berechenbarkeit wären alle Wünsche aufzuschlüsseln, wäre ihre Erfüllung planbar. Er war überzeugt, das Ergebnis der Befragung konnte nur Literatur, aber keine verwertbaren Daten hervorbringen. Außerdem lag es bei ihm, deutend einzugreifen. Von dem Geld, das fast einer Bestechungssumme gleichkam, würde er sowieso das meiste an den Insolvenzverwalter abführen müssen.

    Auf dem Weg nach Hause dachte er, das Projekt könne ihn von dem Schmerz der Trennung ablenken. Vor allem dachte er, dass es eine Gelegenheit sei, etwas über das System und die Methode dieser Befragungen zu erfahren, die, davon war er überzeugt, das politische Leben verseucht hatten.
    Als

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