Vogelweide: Roman (German Edition)
finde, man könne und solle nicht in einem Land wie China bauen, wo Menschenrechte derart missachtet werden.
Ob wir bauen oder nicht bauen, ändert im Moment nichts, gar nichts, aber langfristig viel, da sei er ganz sicher, sagte Ewald. Es ist ein Unterschied, ob man in kasernenartigen Häusern zu vierzehnt zusammenwohnt oder aber in Wohnungen, die das Eigene im Leben ermöglichen, erst dann könne Individualität ausgebildet werden, die wiederum Voraussetzung für den Bürgersinn sei.
Ihr Architekten seid alle gefährdet, wie Albert Speer, ihr seht freie Flächen und habt eure Bauten vor Augen, und dann baut ihr, egal, was rechts und links geschieht, und bastelt euch irgendwelche Rechtfertigungsranken. Würdest du ihm bei der Organisation helfen?, fragte sie Eschenbach.
Noch bevor Eschenbach sagen konnte, es komme auf den Bau an, Gefängnis oder Wohnbau, und ob, wie bei Speer, Häftlinge zur Arbeit gezwungen würden, sagte Ewald, Christian kann gar nicht helfen. Der muss kochen.
Nein, das Herz gart allein bei kleiner Hitze.
Eschenbach goss von dem Weißwein nach. Der Rotwein stand dekantiert und atmete vor sich hin.
Später komme beides zusammen, sagte er, der Wein und das Herz.
Vor Ort sehe eben alles anders aus, sagte Ewald. Er wisse nicht, ob man dieser alten Kultur vorschreiben könne, wie sie sich zur Demokratie entwickeln müsse. Und welche Form der Demokratie es sein solle. Das Schweizer Modell? Frag mal den Ziegler, was der zur Kapitaldemokratie der Schweiz sagt. Vor vier Wochen war ich in Shenzhen. Seit einem Jahr arbeiten wir an der Planung, intensiv, mit dreiundzwanzig Mann, aber es kommt nicht zur Entscheidung. Die Entscheidungen werden von der chinesischen Seite immer wieder aufgeschoben, Vorgaben verändert, neue Daten angefordert. Daten, die nicht zur Verfügung stünden, weil andere Daten geklärt werden müssten, Materialkosten, Transport, und wenn dann alles genau ausgewiesen sei, würden politische Entscheidungen erforderlich, die wiederum auf sich warten ließen, hinzu kämen die Verständigungsschwierigkeiten, sprachliche, aber auch im Umgang miteinander. Die Vorstellung, man dürfe nicht das Gesicht verlieren, ist, könnte man denken, ein westliches Klischee vom Chinesen, und wenn es einmal tatsächlich so gewesen sei, hätte der Kommunismus mit seinem Anspruch auf Rationalität doch längst damit aufgeräumt. Wir, es hängt noch ein anderes Architekturbüro mit dran, waren mit einem Stab von Ingenieuren, Infrastrukturplanern, Statikern, Landschaftsarchitekten da und mit einem promovierten Sinologen, einem ausgewiesenen Kenner der chinesischen Sprache und Mentalität. Es gab Verhandlungen, es wurde Tee gereicht, und wer wollte, bekam Kaffee, eine Kaffeesorte, die irgendwo in Hainan neu gezüchtet worden sein muss, denn sie ließ das Herz pumpen, als müsse es die Titanic über Wasser halten. Wir haben alles am Computer ausgerechnet, auch dargestellt, dreidimensional, du hättest deine Freude daran. Drei Informatiker haben daran gesessen. Dennoch haben wir, um es anschaulich zu machen, alles nochmals in Modellbauten ausgearbeitet, haben die Siedlung, in der also einmal 400 000 Menschen wohnen sollen, mit Kino, mit Supermärkten, Gesundheitszentrum, Universitäts-Campus, Sportplätzen, Schwimmhallen in einer besonders naturalistischen Weise entstehen lassen.
Die Landschaftsgärtnerin hatte kleine Bäume hineingesetzt, das Laub aus Watte, und dann auch noch mit unterschiedlichem Grün angesprüht. Straßenplanung, Bahnanbindung, Bahnstationen, Kanalsysteme, Großrestaurant für McDonald’s und Kentucky Fried Chicken, diese Hühnchenteile mit einer Panade, die angeblich impotent macht, wäre ja eine gute Geburtenkontrolle, recht so, wir hatten die letzten Wochen geackert, Anna weiß, wovon ich rede, das Modell, wunderbar anzuschauen, steht da, und wir sitzen davor. Unser Infrastrukturplaner, ein guter Mann, zeigt die Straßenführung, auch die achtspurige Autobahn, die notfalls auf zehn Spuren ausgebaut werden kann, mit solidem Grünstreifen. Er redet, weist mit seinem Stöckchen den Verlauf, da überfällt eine große Unruhe unsere Gastgeber. Sie reden durcheinander, gestikulieren. Wir fragen unseren Sinologen, was ist los? Der versteht in dem hektischen Stimmenwirrwarr nur große Straße . Meinen sie die große Mauer? Glauben sie, die Straße sei zu breit? Wir können sie auch sechsspurig planen. Aber dann, nach einer Pause, einem betretenen Schweigen, entrollt einer der Chinesen einen
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