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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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seinen Hass abarbeiten konnte, sondern auch die anderen, die Programme zur Optimierung erstellten und ihren Frust an den Sandsack, der nur ein wenig hin- und herschaukelte, prügelten.
    Die Treffen mit ihr, Anna, der Irrwitz der Zeiten, der Irrwitz der Orte, bei ihr zu Hause, in Hotels, wo, wenn sie eincheckten, die Hotelangestellten sich das Grinsen verkneifen mussten. Ein Paar, das ohne Koffer, ohne Reisetaschen kam. Offensichtlicher konnte der Zweck ihres Aufenthalts nicht sein. Sie hätten auch sagen können, wir wollen vögeln, haben Sie ein Zimmer? Zwei Stunden später kamen sie wieder herunter, er zahlte, Anna stand daneben, noch glühte ihre empfindliche Haut, und jedes Mal wieder war ihm diese schamlose Direktheit peinlich. Allein Anna machte es erträglich. Ihr war es egal. Sie zeigte eine engelhafte Unberührtheit. Sie war so ruhig und gelassen, als wären sie ein Paar mit Trauschein und gute zehn Jahre verheiratet.
    Manchmal, wenn er auf seinem Rennrad wieder ins Büro zurückfuhr, überkam ihn – durchaus verlockend übrigens – die Vorstellung, ihn könnte hier und jetzt ein Herzschlag vom Fahrrad heben.
    Er stürmte ins Büro, und sein Hallo war so laut, so sehr von Endorphinen getragen, dass er dachte, allein das müsse ihn verraten. Aber sonderbar genug, er konnte sich nicht herunterstimmen, weder die Lautstärke noch diese Zuversicht. Erst später musste er sich eingestehen, dass eben dies auch mit einer der Gründe für seine Unvorsichtigkeit gewesen war, so schnell in die Ablösung eingestimmt zu haben. Aber auch dies: Er wollte die Nase nicht mehr sehen. Die Nase sollte verschwinden.

    Der Freund hatte ihm nach der Katastrophe erzählt, dass bei den Ewe in Togo die Verhandlungen von Alten geführt werden müssen, nicht nur weil die Erfahrung größer, sondern auch weil der Geschlechtstrieb reduziert ist. Falls dennoch der Verdacht bestehe, der Alte habe eine neue Frau im Auge oder auf der Matte, müsse er von den Verhandlungen ausgeschlossen werden.
    Eschenbach widersprach, es sei nicht allein der Liebeswahn gewesen, der zu der Katastrophe geführt habe, sondern auch die Ökonomie, zum einen habe sein geliebter Partner, die Nase, einen Kunden mitgenommen, und dann sei ein anderer, ein großes Fuhrunternehmen, für das sie die gesamte Software entwickelt hatten, in Konkurs gegangen. Die Rechnung, eine hohe, wurde nicht mehr beglichen. Das war der Stein, der den Gewölbesturz auslöste.

    Während der Verhandlungen mit den Banken um frisches Kapital, gute drei Millionen, war, als er sich am Telefon mit ihr verabreden wollte, erstmals dieser Satz gefallen, dass es unwürdig sei, diese heimlichen Treffen, dass sie vom schlechten Gewissen, ja, lach nicht, sagte sie, vom schlechten Gewissen geplagt werde, diese alte Formel sagte es genau, und sie finde, es müsse ein Ende haben.

    Er hatte ihren ersten Versuch, sich zu trennen, abwehren können. Er hatte sich damals mit ihr in der Bar verabredet, in der sie sich zum ersten Mal und dann immer wieder getroffen hatten. Er hoffte, es sei eine günstige Umgebung für ihn. Es war eine taktische Überlegung, von der er sich seinerseits sagte, sie sei seiner nicht würdig. Und auch ihrer nicht, dieses Überredenwollen, Umstimmen, das Einsetzen von Rhetorik und emotionalen Hebeln. Er dachte an den katholischen Bischof von Augsburg. Hatte der Mann nicht das reine Wort gesprochen? Eine unumstößliche Wahrheit, die keiner Begründung bedurfte, als er zu seinem jungen schönen Kaplan sagte: So bleibe doch, ich liebe dich.
    Er musste sich eingestehen, dass ihm jedes Mittel recht war, sie von ihrem Entschluss abzubringen. Und die Überlegung, was anständig, was billig sei, war ihm gänzlich egal. Darum hatte er sich in dieser Bar mit ihr getroffen. Er dachte – und sollte Recht behalten –, dass die ihnen beiden so gewogene Umgebung, in der das Licht zu einem matten Gelbbraun gedämpft war, im Hintergrund Musik, die sie oder er kannte, und eine Bedienung, eine Studentin, wie er einmal erfragt hatte, die sie jedes Mal mit einem freundlichen Wiedererkennen begrüßte, sie nach ihren Wünschen fragte, ihnen, die sich zuweilen wie Kinder an den Händen hielten, im Vorbeigehen zulächelte, zu Hilfe käme. Die Bedienung war ihnen gewogen und wünschte, gingen sie, ohne peinliche Aufdringlichkeit: einen schönen Abend noch.
    Es war ein energisches Nein, das er in ein erst zögerliches, dann bestimmtes Ja umzuwandeln verstand. Sie rang, es war nicht anders zu sagen,

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