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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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mit sich. Wie sie, die immer pünktlich war, sich jedes Mal zu ihren Treffen verspätete. Er hatte sich angewöhnt, wartete er auf sie in ihrer Bar oder in einem Restaurant, ein Taschenbuch mitzunehmen. So las er, auf sie wartend, Gadamer über Platons Dialoge oder Luthers Sendbrief vom Dolmetschen. Es war, als wollte sie ihn auf die Probe stellen, tatsächlich aber stellte sie sich selbst auf die Probe, vielleicht hoffte sie, er sei inzwischen gegangen, oder, dass ihr entschiedener Vorsatz, nicht zu kommen, im letzten Moment die Kraft bekäme, sie einfach weitergehen zu lassen. Vielleicht siegte letztendlich jedes Mal die ihr anerzogene Höflichkeit, sie dürfe ihn nicht länger warten, ihn nicht sitzen lassen, doch hoffte er, es obsiege ihr Wunsch, zu kommen, ihn zu sehen, ihm nahe zu sein, begehrt zu werden, so wie sie, dachte er, ihn begehrte, denn sonst wäre nicht denkbar gewesen, dass sie gegen all ihre Prinzipien verstoßen, ihre Ehe, ihre Familie in Gefahr gebracht hätte. Zuweilen hatte er den Eindruck, etwas in ihr suche geradezu die Entdeckung, wenn sie sich, nach langem Zögern ihrerseits, getroffen hatten, in dem Café einander gegenübergesessen, geredet, geschwiegen, dann gezahlt hatten und gegangen waren und sich auf der Straße, durch die ihr Mann von seinem Büro nach Hause fuhr, küssten.
    Ich bin verrückt, sagte sie dann. Ich bin total verrückt. Und dann sagte sie, wie kann ich nur.

    Aber das alles Verbindende war, wie sie beide, nachdem sie miteinander geschlafen hatten, sich öffneten, wie sie sich voneinander erzählten und fragten, sich durch Fragen tiefer und genauer verstehen lernten. Nie sprach sie über Ewald abfällig, sondern erzählte, wie lange er um sie geworben hatte, sie sagte, etwas hielt mich fern, ich mochte ihn, ich mochte seine Energie, seine Großzügigkeit, seinen Beruf. Vielleicht gab am Ende das Staunen darüber den Ausschlag, wie es ihm mit wenigen sorgfältigen Strichen gelang, auf Papier Gebäude zu entwerfen, später zu bauen, die mir gefielen, mal abgesehen von diesem größenwahnsinnigen Chinaprojekt, abgesehen von einer protzigen Villa, die er einem ebenso protzigen Immobilienhändler gebaut hatte. Er verfolgte mit großer Hartnäckigkeit seine Projekte und ähnlich verfolgte er auch mich, auf eine sehr witzige Weise, er schrieb mir, wo immer er gerade war, eine Postkarte, es waren ausgewählte, anspielungsreiche Postkarten, meist alte, erstaunlich, wo er die auftrieb. Es war nicht der eine Blick, dieses schnelle Ineinanderstürzen wie bei uns. Es war eine lange, ruhige, gewissermaßen argumentative Annäherung. Er wurde mir so vertraut, dass ich Sehnsucht nach ihm bekam, ihm nahe sein wollte, ihn vermisste, und als er sagte, lass uns heiraten, da sagte ich: Ja. Das war meine Vorstellung: Wenn überhaupt eine Ehe, dann sollte sie unzertrennlich sein. Gegründet, ja, so altmodisch, fest gegründet. Sie sagte, ich bin für die Nachhaltigkeit in den Gefühlen. Ich habe mich nicht geirrt in meinem Entschluss.

    Er bewunderte die moralische Entschiedenheit, aus der ihre Zweifel erwuchsen, die tiefen Zweifel an ihr selbst, deren Anlass er war. Wie sie sich selbst befragte, schonungslos, und ihr gegen sich und andere gerichteter moralischer Appell. Die Fragen und das Neufragen. Ihr Sinn für Unrecht. Ihre Empörung. Das vor allem, er kannte niemanden, abgesehen von seinen Eltern und deren Bekannten- und Freundeskreis, der sich derart über Ungleichheit, Zurücksetzung erregen konnte. Hätte er sie beschreiben müssen, so hätte er gesagt, sie sei eine Empörte. Und noch etwas, ihm fiel, wenn er sie sah, das alte Wort Augentrost ein.
    Vor allem war es ihre Ruhe, wenn sie sich nicht gerade empörte, dieses Ausruhen in ihren Zügen. Auch ihre Bewegungen waren gemessen, nichts Hektisches, nichts Bemühtes. Gern hätte er sie einem Freund beschrieben, aber er schwieg. Er redete nicht, freute sich aber, wenn andere, die sie sahen, die sie kannten, von ihr sprachen – niemand wusste von ihrer Innigkeit.
    Der englische Freund, der Anna einmal gesehen hatte, sagte in seiner flapsigen Ausdrucksweise: Klasse, die Frau, könnte eine Frau aus der Gentry sein, wie man sie in England trifft, die der Lilie das Weiß und dem Majoran das Rot gestohlen hat.

    Der Versuch der Trennung war jedes Mal ein neuer Anfang. Sie mussten sich nur sehen.
    Wir dürfen uns nicht sehen, sagte sie.
    Und dieser Augenblick führte sie wieder zusammen.
    Ihre Worte: Ich denke an dich. Und das ist ein

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