Vogelweide: Roman (German Edition)
ist gar nicht zum Lachen zu Mute, dachte er.
Eschenbach geriet erstmals in Schwierigkeiten. Bei zwei Banken musste er um neue Kredite kämpfen, ja, es war ein Kampf, in dem er schließlich obsiegte, was heißt obsiegte, die Kredite wurden gewährt. Was er aber als erniedrigend empfand, war, dass er die Nase bitten musste, ihm die noch ausstehenden Beträge zu stunden. Die Nase tat es, gab sich überraschenderweise nicht triumphal, verlangte aber hohe Zinsen. Eschenbach hatte geglaubt, die Kredite einschließlich der Zinsen in absehbarer Zeit infolge neuer Aufträge zurückzahlen zu können. Was er dabei unterschätzt hatte, war die inzwischen gewachsene Konkurrenz, die so erstaunlich billig kalkulieren konnte.
Die Ebbe setzte langsam ein, und mit ihr verteilten sich die Vogelschwärme, die Futter suchend über die nassen Flächen flogen, wo sich das Meer zurückgezogen hatte und das Getier der Tiefe schutzlos zu Tage lag.
Er hatte während der Flut die Vögel geschätzt und trug die Zahlen in das Protokoll ein. Ein Schwarm von vier- bis fünftausend Austernfischern zog über die Nachbarinsel Nigehörn. Und ein zweiter Schwarm, nördlicher bei Scharhörn, sechstausend Strandläufer, war auf dem Durchzug nach Süden. Gut vierzig bis fünfzig Stare kreisten hier über der Insel. Bald würden auch sie nach Süden fliegen.
Ein kleiner Schwarm Kampfläufer, die merkwürdigsten aller Schnepfenvögel, fiel ein. Der Freund hatte sie ihm schon vor Jahren gezeigt, und Eschenbach hatte sich die Beschreibung aus Brehms Tierleben herausgeschrieben, auch deshalb, weil es für ihn ein Beispiel für glänzende Wissenschaftsprosa war:
Der Schnabel ist so lang wie der Kopf, gerade, seiner ganzen Länge nach weich, der Fuß hoch und schlank, weit über die Ferse nackt, vierzehig, die mittlere mit der äußeren Zehe durch eine Spannhaut verbunden, das Kleingefieder weich, dicht, meist glatt anliegend, besonders ausgeschmückt durch einen Kragen, den die Männchen im Frühjahr tragen. Letztere zeichnen sich auch dadurch aus, daß sie ein Drittel größer sind als die Weibchen, im Hochzeitskleide eine ins Unendlich abändernde Färbung und Zeichnung haben und im Gesicht eigentümliche Warzen erhalten, die im Herbst mit dem Kragen verschwinden und nichts sind als besonders gebildete, gewissermaßen in der Entwicklung zurückgebliebene Federchen. Eine allgemein gültige Beschreibung kann nicht gegeben werden. Der Oberflügel ist dunkel braungrau, der schwarzgraue Schwanz auf den sechs mittleren Federn schwarz gefleckt, der Bauch weiß, das übrige Gefieder aber höchst verschieden gefärbt und gezeichnet. Letzteres gilt besonders für die aus harten, festen, etwa 5 cm langen Federn bestehende Krause, die den größten Teil des Halses umgibt. Sie ist auf schwarzblauem, schwarzem, schwarzgrünem, dunkel rostbraunem, rostfarbenem, weißem und andersfarbigem Grunde heller oder gefleckt, gebändert, getuscht oder sonst wie gezeichnet, so verschiedenartig, dass man kaum zwei männliche Kampfläufer findet, die einander auch nur nahezu gleich sind. (...)
In Deutschland erscheint der Kampfläufer flugweise Anfang Mai, bezieht seine Sommerplätze und beginnt bereits im Juli und August wieder herumzustreifen oder sich auf Wanderschaft zu begeben. Auch er reist nachts und immer in Gesellschaft, die dann in der Regel Kettenzüge in Keilform bilden. (...)
Während sich Männchen und Weibchen in der Fortpflanzungszeit in ihrem Betragen und in ihrem Äußeren sehr stark unterscheiden, ist das nach dieser Zeit nicht mehr der Fall. Sie vertragen sich dann sehr gut, zeigen sich gesellig und halten treu zusammen. Der Gang der Kampfläufer ist anmutig, nicht trippelnd, sondern mehr schreitend, die Haltung dabei stolz und selbstbewusst, der Flug sehr schnell, oft schwebend, durch leichte und rasche Schwenkungen ausgezeichnet. Nach Art ihrer Verwandten sind sie munter und rege, noch bevor der Tag anbricht und bis in die Nacht hinein, bei Mondschein auch während der ganzen Nacht; sie schlafen und ruhen also höchstens in den Mittagstunden. Morgens und abends beschäftigen sie sich eifrig mit Aufsuchen der Nahrung, die in dem verschiedensten Wassergetier, aber auch in Landkerfen und Würmern und ebenso in mancherlei Sämereien besteht.
Dieses Betragen ändert sich gänzlich, sobald die Paarungszeit eintritt. Jetzt bestätigen sie ihren Namen. Die Männchen kämpfen, und zwar fortwährend, ohne wirklich erklärliche Ursache, möglicherweise gar nicht um
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