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Vogelwild

Vogelwild

Titel: Vogelwild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Auer
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der
braunen Wolldecke mit dem eingewebten roten Kreuz und zog sie dann zurück. Erst
zögerlich, nur über die Brust, dann über die Beine, bis er sie schließlich
entschlossen komplett wegnahm. »Du bist hier der Chef, Manfred, aber ich würde
den Mann sicherheitshalber genauer anschauen lassen«, meinte Morgenstern dann.
    Der Hauptkommissar runzelte die Stirn. Wie er solche
Unannehmlichkeiten in seinem Revier hasste! »Aber wieso denn? Hast du
irgendetwas gefunden, was wir übersehen haben?«
    Der Oberkommissar deutete kurz auf das ehemals helle
Hemd, das nun von Lehm und Schutt mit dunklen Flecken übersät war, dann auf die
dunkelbraune Hose und die schwarzen Halbschuhe des Verunglückten. »Damit, mein
lieber Manfred, kannst du, wenn dir danach ist, ohne aufzufallen in einer
Fronleichnamsprozession mitlaufen, aber auf keinen Fall ist das die passende
Arbeitskleidung für den Steinbruch. Ich würde schon gerne wissen, was der Mann
in einem solchen Aufzug hier zu suchen hatte.«
    ***
    Es
dauerte noch eine gute Stunde, dann traf endlich der Staatsanwalt aus
Ingolstadt ein. In der Zwischenzeit hatten sich Morgenstern und Huber noch
einmal ausführlich im Steinbruch umgesehen. Sie hatten sieben Holzpaletten
entdeckt, die fertig bepackt zum Abtransport in die nahe Steinschleiferei
bereitstanden. In einer Ecke waren sie auf lehmiges Abraummaterial und
zerbrochene Steinplatten gestoßen, die zu einer vielleicht drei Meter hohen
Halde aufgetürmt worden waren: ein ganz ähnlicher Berg wie der, unter dem der
Arbeiter verschüttet worden war. »Das Zeug wird mit dem Laster weggefahren«,
erklärte Huber. »Dann wird es zu großen Hügeln aufgeschüttet, wie du sie hier
überall siehst. Ist doch ein richtiges Gebirgspanorama.« Er grinste und deutete
Richtung Osten.
    Morgenstern folgte seinem Blick und stutzte. »Dahinten
steht ja sogar ein Gipfelkreuz!«, wunderte er sich. Tatsächlich ragte auf der
höchsten Steinhalde, die von der Sonne bestrahlt wurde, ein hölzernes
Gipfelkreuz in den Himmel.
    »Ach, das haben irgendwelche Witzbolde gezimmert und dann
dahingestellt«, sagte Huber. »Vieles von dem Abraum kommt nach einiger Zeit in
ein zentrales Schotterwerk. In einigen Steinbrüchen gibt es mobile Pressen, die
das Zeug in null Komma nichts zerschreddern. Das Produkt, das da rauskommt,
wird anschließend als Rohmaterial für den Straßenbau verwendet. Manche Halden
werden später auch einfach der Natur überlassen, werden zum Biotop.«
    Als sich Huber wieder den Beamten seiner Inspektion
zuwandte, nutzte Morgenstern die Gelegenheit, allein in den merkwürdigen Stadel
zu schlüpfen, dessen Eingang, zwei massive hölzerne Schwingtore, anscheinend
normalerweise mit einem dicken, messingglänzenden Vorhängeschloss gesichert
wurde. Aber nun war das Schloss offen. Vorsichtig stieß der Oberkommissar einen
Torflügel auf und trat ein. Überraschende und erfrischende Kühle strömte ihm
aus dem dämmrigen Inneren entgegen. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit
gewöhnt hatten, konnte er erkennen, dass Pickel, Schaufel und Schubkarren an
den Wänden lehnten. Daneben standen halb gefüllte Kisten mit fertigen
Steinplatten, und in einer Ecke hatte der Besitzer eine Campingausrüstung
aufgebaut: drei weiß-blau bespannte Klappstühle gruppierten sich um einen
weißen Kunststofftisch. An einer Wand summte leise ein betagter Kühlschrank vor
sich hin, dessen Tür mit Limonadenetiketten beklebt war. Morgenstern öffnete
die Tür und sah sich Massen von Zitronenlimonade und alten, mit Leitungswasser
gefüllten Ein-Liter-Plastikflaschen gegenüber. Die Arbeiter im Steinbruch
brauchten anscheinend viel Flüssigkeit. Der Ermittler wollte sich schon wieder
abwenden, da hielt er in der Bewegung inne. Langsam drehte er sich zum
Kühlschrank zurück. Sein ausgeprägter Kriminaler-Instinkt hatte ihm einen
kurzen, aber nicht minder wichtigen Wink gegeben. Einen Gedankenblitz, wie das
Aufflammen einer Taschenlampe in der Dunkelheit. Morgenstern beschnupperte den
Kühlschrank, als wäre er ein fremdes Wesen, dann öffnete er erneut die Tür,
klappte aber diesmal auch das kleine Eisfach auf, das sich im obersten Bereich
des Gerätes befand.
    »Leer«, murmelte er enttäuscht und drückte Eisfach und
Tür wieder zu. Er überlegte kurz, zögerte einen Moment, dann aber umschlang er
mit beiden Armen das gesamte Kühlgerät und rückte es vorsichtig ein wenig von
der Wand ab. In der schmalen Ritze, die zum Vorschein kam, steckte eine

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