Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
Vom Netzwerk:
Zuflucht gefunden. Vashni empfand keine besondere Zuneigung für Samia, die sie für ehrgeizig, aber nicht mit der nötigen Intelligenz gesegnet hielt, doch in diesem Augenblick beneidete sie sie nicht um ihr Schicksal. Als Konkubine des Königs hatte die Arme fast ihre gesamte Freiheit für eine Stellung geopfert, die ihr nur ein begrenztes Maß an Ehren eintrug.
    Für eine Frau besteht die beste Art von Freiheit darin, reich zu sein , dachte Vashni, als sie seltsam melancholisch die Stufen hinabstieg. Reich und Witwe - dann war man wirklich nur für sich selbst verantwortlich. Ja, dann stand es einem sogar frei, völlig absurde Entscheidungen zu treffen. Wie die, in einem leeren Palast an einem gefährlichen Ort zu bleiben, während nur einige Schritte entfernt der Krieg tobte.
    In einem benachbarten Hof ertönten Hammerschläge auf Holz. Vashni schlenderte neugierig näher heran. Sie ging durch ein Gittertor, betrat einen aufgelassenen Teil der Ställe und sah erstaunt, dass ein Dutzend Soldaten damit beschäftigt war, gewaltige Bretter vor ein breites Tor zu nageln, das direkt in die Stadtmauer eingelassen war.
    Ein ältlicher Offizier überwachte ihre Bemühungen, und Vashni trat auf ihn zu. Der Mann verneigte sich leicht, als er sie bemerkte.
    »Führt dieses Tor zur zweiten Mauer?«, fragte Vashni.
    Der Mann nickte. »Es gibt drei hintereinander. Wir haben die beiden ersten schon verbarrikadiert.«
    Vashni runzelte die Stirn. »Sie führen ins Freie?«
    Der Offizier zuckte mit den Schultern. »Der Palast
gehörte der Familie Riali, bevor die Ratsversammlung ihn aufgekauft hat. Sie hatten einen Privatausgang, um nicht an den Toren Schlange stehen zu müssen. So etwas gibt es im Westteil der Stadt häufig. Wir versuchen, sie alle zu versperren … Ich hoffe, wir vergessen auch keines! Sie sind nicht alle in den Karten verzeichnet.«
    »Oh«, sagte Vashni.
    »Macht Euch keine Sorgen, Ehari. Es sind bereits weitere Bogenschützen unterwegs.«
     
    Laosimba inspizierte die Truppen vor der Stadt und spendete seinen Männern gerade den Segen Fîrs, als er gleich hinter der Front das lange, purpurne Gewand eines Botenmeisters erspähte. Mit einer gemurmelten Entschuldigung an den Offizier, der ihn begleitete, bog er sofort ab; die Männer machten ihm respektvoll Platz.
    Der Bote wartete sehr aufrecht. Der Kââs saß auf seinem Handgelenk; die braunen Federn schimmerten. Der Metallring an der Klaue des Vogels war geöffnet worden, so dass im Innern das dünne, zusammengerollte Blatt mit dem intakten Siegelfaden sichtbar war.
    Laosimba hob die Hand, um den Brief zu ergreifen - und zögerte dann, weil ihn eine plötzliche Furcht überkam, die er später als Vorzeichen deuten sollte. Die Armee aus Laân hätte schon seit über vier Stunden da sein sollen. Vier Stunden, das war nicht viel - eine Armee von mehreren hundert Mann konnte sich aus vielerlei Gründen verspäten. Und nichts wies darauf hin, dass der Kââs von Süden kam.
    Dennoch hatte er auf einmal das Bedürfnis, den Brief nicht sofort, sondern erst im Innern der Stadt zu öffnen. Im Schutze der Mauern.

    Gefolgt von dem Boten schritt der Hohepriester wieder durchs Tor, ohne stehen zu bleiben oder die Offiziere, die ihm zuwinkten, einer Antwort oder auch nur eines Blickes zu würdigen, obwohl sie sicher Neuigkeiten oder tröstende Worte erwarteten. Er ging einfach geradeaus, passierte alle drei Stadtmauern, erreichte die Granittreppe, die zur Aussichtsplattform emporführte, und stieg die Stufen hinauf, wobei er zwei Ratsherren, die sich ihm näherten, ignorierte. Auf der Plattform angekommen, betrachtete er wieder die beiden anwesenden Armeen.
    Die Abenddämmerung senkte sich herab und tauchte die Landschaft in ein bläuliches Licht. Laosimba drehte sich um und streckte die Hand aus. Der Bote reichte ihm den Brief.
    Laosimba entrollte das Papier und las die wenigen Zeilen, die in eiliger, angespannter Schrift darauf standen.
    Die Armee von Laân würde nicht kommen. Das hatte er schon gewusst, als seine Finger das Papier berührten.
    Seltsam. Er war nicht einmal überrascht.
    Die Armee war nicht vernichtet, sondern aufgehalten worden. Eine Reihe von Angriffen aus dem Süden hatte sie langsamer gemacht, und sie würde mindestens drei Tage später als erwartet anrücken, hieß es in dem Brief. »Versucht, den Angriff bis dahin hinauszuzögern«, schloss der Kasaïr von Laân. Die Ironie des Satzes war ihm sicher nicht bewusst.
    Laosimba rollte den Brief

Weitere Kostenlose Bücher