Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
Vom Netzwerk:
Ziel noch nicht erreicht hatten. Harrakin hatte rasch eine Sperre organisiert, um die Hauptmacht der Feinde aufzuhalten und so den Nachzüglern Gelegenheit zu geben, zu ihnen zu stoßen.
    Es wird reichen, wenn wir noch eine Stunde durchhalten , dachte Harrakin. Die ersten Reihen waren jetzt nur noch ein Gewirr aus Männern und Waffen. Noch eine Stunde … Sobald der letzte Soldat hier war, würden sie sich zurückziehen können.
    Ein Horn ertönte mitten im Getümmel: drei Stöße, dann noch einer. Lavin, Gilas’ Leutnant, forderte Verstärkung an. Harrakin gab seine Befehle, und einige Augenblicke später stürzten sich fünfzig Soldaten in die
Schlacht. Mehr würde es nicht geben. Sie konnten es sich nicht leisten, noch mehr Männer zu opfern, um eine zeitlich begrenzte Stellung zu halten, solange die beiden Armeen noch nicht einmal in Position gegangen waren.
    Wenn der wahre Angriff begann, würde es auf jeden einzelnen Mann ankommen.
     
    Die Pfeile der Sakâs gingen auf die dicht gedrängten Reihen nördlich des Großen Tors nieder. Von der Mauer aus beobachtete Laosimba, begleitet von den Ratsherren Viennes und Lucasi, die feindlichen Armeen. Der frische Wind der Morgendämmerung wehte ihre Haare hoch und zerrte an ihren Wollumhängen.
    Viertausend Mann waren vor der Stadtmauer zusammengezogen, um das Große Tor zu verteidigen.
    Gegenüber von ihnen, kaum fünfzig Fuß entfernt, standen sechstausend Sakâs. Nur die Bogenschützen schossen. Die Barbaren rührten sich nicht.
    »Worauf warten sie?«, flüsterte Viennes, als liefe er Gefahr, sie in Bewegung zu setzen, wenn er die Stimme hob.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Laosimba. »Aber wir … wir warten auf die Armee aus Laân. Sie ist einen halben Tag entfernt. Tausend Mann. Wir werden sie brauchen.«
    Viennes drehte sich zu Laosimba um. »Was geht im Westen vor? Es geht das Gerücht …«
    »Ich habe die Truppen aus Harabec und Gilas es Maras’ Armee dorthin geschickt, um die Nebentore zu schützen«, verkündete der Hohepriester, den Blick auf die Linien gerichtet. »Die erste und zweite Armee der Sakâs sind plötzlich nach Südwesten abgebogen. Wir haben gerade noch rechtzeitig reagiert, um sie aufzuhalten.«

    Lucasi runzelte die Stirn. »Ich habe selbst die Briefe unterschrieben, in denen ihnen befohlen wurde, zum Großen Tor zu kommen. Ihr habt sie eigenhändig verfasst.«
    »Offensichtlich habe ich meine Meinung geändert«, sagte Laosimba, der immer noch die Bewegungen der feindlichen Truppen verfolgte.
    Viennes warf einen Blick auf die angespannten Züge des Hohepriesters. Laosimba war ein passionierter Lügner. Er mochte sich in religiösen Vorträgen in Begeisterung reden, er mochte Tränen in den Augen haben, wenn er von den Göttern sprach, und furchterregende Wutanfälle bekommen, aber Viennes mit seiner langen Verwaltungserfahrung wusste zwischen Persönlichkeit und Komödie zu unterscheiden. Die Wutanfälle und Tränen des Priesters waren Teil seiner Schauspielkunst: Auf diese Weise gab er sich unberechenbar und versetzte alle in Angst und Schrecken.
    Wenn Laosimba wirklich zornig war, weil man ihm nicht gehorcht hatte, dann weinte er nicht und verlor auch nicht die Fassung. Seine Züge erstarrten in kaltem Zorn.
    Wie jetzt.
    Viennes wandte den Blick ab.
    Wenn der König von Harabec und Gilas es Maras wirklich einen Befehl verweigert hatten, dann war ihre Haut nicht mehr viel wert, ganz gleich, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatten oder nicht.
    »Habt Ihr gesehen?«, fragte Lucasi. »Die Sakâs schichten Scheiterhaufen auf. Da drüben … und da.«
    Laosimba schüttelte den Kopf. »Die Männer auf der ersten Mauer sagen, dass es keine Scheiterhaufen, sondern Feuerstellen sind. Große Holzstapel.«

    »Um Feuer zu machen? Warum? Als Signal?«, fragte Viennes.
    Der Hohepriester schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich.«
    Lucasi beugte sich über die Mauer und verdrehte den Kopf, um nach Osten blicken zu können. »Ich wünschte, die Truppen aus Laân wären bereits zu uns gestoßen«, sagte er zu Laosimba.
    Der Hohepriester nickte knapp. »Sie werden nicht auf sich warten lassen.«
     
    Gilas es Maras betrat das Zelt, in dem Harrakin zwei Stunden nach Sonnenaufgang endlich eingeschlafen war. Es war ihnen gelungen, den Sakâs zuvorzukommen. Sie hatten über dreihundert Mann verloren, aber ihre Truppen standen nun zwischen dem Turm und der Westmauer und versperrten den Zugang zur Straße und zu den Toren.
    Seitdem hatte der Feind

Weitere Kostenlose Bücher