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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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genommen hatten, hatten sich Marikani und Bara schweren Herzens auf den Rückweg gemacht. Sie hatten noch Vorräte für einige Tage … Aber was dann? Es wurde immer schwieriger, Nahrung zu finden.
    Marikani würde denjenigen, die im Lager auf sie warteten, die schlechte Nachricht nicht mitteilen. Sie hatte ohnehin noch nichts gesagt, hatte nicht von den Lagerhäusern gesprochen, um in ihrem »Volk« keine falschen Hoffnungen zu wecken. Deshalb streifte sie auch selbst mit Bara umher, statt Kundschafter auszuschicken: damit schlechte Nachrichten nur ihr allein bekannt wurden.
    Sie konnte ihnen nicht die ganze Wahrheit sagen. Unterernährt und entkräftet kamen die Ihren nur dank ihres Glaubens und ihrer Kühnheit voran. Marikani wägte jedes ihrer Worte ab: Ein Moment der Mutlosigkeit konnte tödlich sein.
    An ihrer Seite regte sich Bara plötzlich im Dunkeln. Ohne sich aufzurichten, schlich er wie eine Raubkatze langsam nach links, tiefer ins Gestrüpp. Einige Augenblicke später war er verschwunden.
    Marikani blieb geduckt allein in der Nacht zurück.
    Warum hatte Bara sie dazu gebracht, sich hinter dem Baumstamm zu verstecken? Warum hatte er sich entfernt? Was hatte er wahrgenommen?

    Auf dieser Höhe gab es in den Bergen keine gefährlichen Tiere - außer vielleicht Schlangen wie die, die Mîn und Arekh einst hier in diesem Wald getötet hatten.
    Und dann sah Marikani sie.
    Drei Männer. Drei dunkle, fast unsichtbare Gestalten, die leise den Hang dort hinunterstiegen, wo Marikani und Bara sich noch vor einigen Augenblicken befunden hatten.
    Marikani erstarrte und hielt den Atem an; ihr war eiskalt.
    Die Männer kamen an ihr vorbei und stiegen fast lautlos zwischen den Kiefern hinab.
    Sie konnte nur ihre Umrisse erahnen … Sie wirkten groß. An ihren Gürteln funkelte Metall. Sicher Schwerter oder Äxte.
    Einige Herzschläge später waren sie zwischen den Bäumen verschwunden, als seien sie nur ein Traum gewesen.
    Marikani wartete, zählte bis hundert.
    Nichts.
    Sie lauschte.
    Nichts.
    Unendlich langsam erhob sie sich, machte ein paar Schritte - und stand einer vierten Gestalt von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
    Der Mann war genauso überrascht wie sie. Er war lautlos zwischen den Bäumen hangaufwärts hervorgetreten und blieb nun mit vor Erstaunen aufgerissenem Mund stehen. E-Lâs Licht beleuchtete ein Gesicht mit sehr scharfen Zügen und ließ das Metall eines Kettenhemds und den Stahl eines Schwertes an der Seite des Mannes aufblitzen. Er hätte jederzeit zuschlagen können, aber Marikani sah seinen Augen an, dass er zögerte: eine Frau, allein, nachts,
ohne Begleiter, ohne Laterne, im tiefsten Wald, an einem der entlegensten Orte der Königreiche? Er glaubte ohne Zweifel an einen Traum, eine Erscheinung.
    Marikani trat einen Schritt zurück, und das zerstörte den Zauber. Der Mund des Soldaten verzog sich zu einem Lächeln, er hob beide Hände, legte eine auf Marikanis Taille und die andere auf ihre Brust. Sie machte sich stumm los; der Mann fing sie wieder ein, öffnete den Mund, als wolle er seine Kameraden rufen …
    Bara stürzte sich auf ihn wie ein Geier auf seine Beute. Eben noch war niemand da gewesen, und die Hand des Soldaten hatte begonnen, Marikani das Hemd aufzureißen - aber im nächsten Augenblick hatte Bara sich auf ihn geworfen, hielt ihm mit einer Hand den Mund zu und führte mit der anderen den funkelnden Dolch. Marikani trat abermals lautlos und ohne jeden überraschten Ausruf zurück; ein dumpfes Röcheln ertönte, als der Mann mit durchschnittener Kehle zu Boden sackte.
    Immer noch schweigend packten Marikani und Bara ohne Absprache den Leichnam und trugen ihn ins Unterholz, weg von dem Weg, den die anderen Soldaten genommen hatten.
    Dann versteckten sie sich wieder und warteten.
    Die Soldaten kehrten nicht zurück.
    Nach einer Stunde schien Bara der Ansicht zu sein, dass sie sich wieder rühren konnten. Sie knieten sich neben die Leiche und versuchten anhand der Kleider und Waffen herauszufinden, woher der Mann stammen mochte. Das Licht reichte nicht aus, und nach einem Moment des Zögerns gingen sie das Risiko ein, eine Flamme zu entzünden, um das Gesicht des Toten besser sehen zu können.

    Es war wichtig, herauszufinden, mit wem sie es zu tun hatten.
    Der Mann, den Bara getötet hatte, hatte glanzlose Haut und rote Haare; seine Augen waren verdreht. Sein Kettenhemd war von guter Qualität, aber ohne jegliche Verzierung, die es vielleicht gestattet hätte, seine Herkunft

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