Volk der Verbannten
Flucht! Zu mir! Wir haben schon gesiegt!«
Und mit dieser kapitalen Lüge warf er sich wieder
nach vorn, hieb aufs Neue in die Masse und sang im Zuschlagen die » Ode auf das Blut« . Er hörte, wie seine Männer hinter ihm den Gesang aufgriffen. Und entsetzt über seine Hiebe, die Wildheit seiner Stimme und sein Gesicht, das sich in eine Kriegermaske verwandelt hatte, wichen die feindlichen Reiter vor ihm zurück. Die Lüge wurde zur Wirklichkeit: Harrakin spürte, wie seine Gegner schwächer wurden, wie ihr Zusammenhalt sich angesichts der neuen Kraft der Männer aus Harabec und unter dem Gesang des Arrethas langsam auflöste, und einen Moment lang fühlte er sich vom Atem des Gottes getragen.
Und dann sah er nicht weit entfernt die »Kreatur«. Die Krieger der Abgründe versuchten, sie zu beschützen, sie zu umringen, aber ihre schöne Formation wies schon mehrere Lücken auf. Von der Strömung getragen, drängte Harrakin sich durch die Wellen aus Pferden und Männern bis zu ihr durch, als sie versuchte, sich zu entfernen und ihr Pferd zurückweichen zu lassen, um diesem wilden Krieger zu entgehen, den nichts aufhalten konnte. Aber das Chaos hinderte das Ding im schwarzen Gewand daran, sich frei zu bewegen, und bald war Harrakin auf gleicher Höhe mit ihm: Hinter ihm hatten sich drei Reiter aus Harabec derjenigen angenommen, die sich ihm in den Weg gestellt hatten. Mit einem Hieb entledigte er sich eines letzten Kriegers, der ihn von seiner Beute abdrängen wollte.
Dann sah er hin, bevor er zuschlug. Die Kreatur der Abgründe. Ein gewaltiger Leib aus fließendem schwarzem Stoff, dem man aus der Nähe Flecken und Risse ansah. Ihre funkelnden Augen leuchteten aus einem durchlöcherten Metallhelm hervor, hinter dem unregelmäßige
Flammen loderten. Ja, eine Vogelscheuche. Genau das ist es , dachte Harrakin, holte aus und ließ mit einem großen, halbkreisförmigen Hieb sein Schwert in den Körper der »Kreatur« sausen. Es durchschlug das Gestell, das sich unter dem Gewand befand, riss Holzstücke und Stoff mit sich und traf schließlich im Innern des Aufbaus den menschlichen Körper, auf dem alles ruhte … Der Mensch stürzte mit einem kleinen, schrillen Schrei aus dem Sattel und wurde von den Pferden niedergetrampelt.
Leere breitete sich um Harrakin aus. Es kam zu einer Art Atempause in der Schlacht, und alle Blicke richteten sich auf den zerschmetterten Körper des Mannes, dessen Blut nun den ockerfarbenen Boden befleckte, und den Helm, der zu Boden gerollt war und ein seltsames Metallgefäß sehen ließ, aus dem sich immer noch brennend eine schwarze, ölige Flüssigkeit ausbreitete.
»Tötet sie!«, schrie Harrakin und reckte mit einem triumphierenden Lachen aufs Neue sein Schwert in die Höhe, als hätten sie schon gewonnen … Und diesmal war es keine Lüge: Bald flohen die letzten feindlichen Reiter ungeordnet zwischen die Felsen, während die Armbrustschützen auf sie schossen und die Fußsoldaten die Nachzügler niedermachten.
Nach der Schlacht schrien die überlebenden Soldaten vor Freude, tanzten und sangen Dankeshymnen an Arrethas. Harrakin verspürte ein gewisses wildes Glücksgefühl; es überraschte ihn, dass er gewonnen hatte - ja, dass er überlebt hatte. Er ließ seine Männer jubeln, spürte die Hysterie in ihren Stimmen - auch sie wussten, dass es ein Wunder war, dass sie noch atmeten.
Dann begannen sie, ihre Toten zu zählen.
Nur sieben Reiter hatten überlebt. Zwanzig Murufersöhne waren gefallen. Unter den Armbrustschützen hatte es keine Opfer gegeben.
Der Boden war übersät von Leichen und feindlichen Verwundeten.
»Geliebter, wie geht es Eurer Schulter? Bitte, lasst mich Euch versorgen.«
Samia, begleitet von einer Zofe und zwei Hofdamen. Auch die paar Ratgeber und die achtzehn Frauen, die den König nach Reynes begleiteten, waren ausgestiegen. Sie besahen sich mit verstörten Gesichtern das Gemetzel ringsum; ihre prächtigen bestickten Gewänder wirkten inmitten des Staubs und des Blutes fehl am Platz. Harrakin sah, wie eine Gruppe von drei Frauen die Soldaten anstarrte, die blutbedeckt unter Sprechgesängen einen rhythmischen Tanz aufführten und ihren Sieg Arrethas weihten. Die Gesichter der Hofdamen spiegelten Unverständnis und Entsetzen wider.
Und doch haben sie schon ganz andere Dinge gesehen , dachte Harrakin, als er vom Pferd stieg. Der Hof von Harabec war alles andere als ein friedlicher Ort. Aber die Plötzlichkeit des Angriffs, die Gewalttätigkeit, die Zahl
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