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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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unterstützt wurden, von ihren Feinden überwältigt zu werden drohten.
    »Der Schutz des Gottes! Lasst Eure Männer ins Gemenge schießen! Ihre Bolzen werden nur ihre Feinde treffen!«
    Trotz des Regens, der Gefahr und der verzweifelten Lage war Harrakin wie vom Donner gerührt. Er starrte Laosimba verblüfft an, und nur all die Jahre, die er am
Hof von Harabec verbracht hatte, wo es überlebensnotwendig war, seine Gefühle im Zaum zu halten, hielten ihn davon ab, dem Hohepriester die Reitpeitsche ins Gesicht zu schlagen.
    Wenn seine Armbrustschützen jetzt in ein solches Durcheinander schossen, würden die Reiter zu Dutzenden fallen. Das wusste auch Laosimba - und damit rechnete er gewiss … Harrakin und seine beinahe noch intakte Armee hatten zu viel Gewicht und Einfluss in diesem Krieg, in dem das Emirat binnen weniger Tage gefallen war und in dem auch die Männer aus Reynes herbe Verluste hatten hinnehmen müssen. Laosimba wollte, dass die Reiter aus Harabec starben, er wollte Harrakin schwächen.
    Rasend vor Wut versetzte Harrakin seinem Pferd einen Schlag mit der Reitpeitsche, so dass es einen Satz nach vorn machte. Er konnte nicht antworten; sein Ton hätte seinen Zorn verraten. Dass Laosimba es trotz der Gefahr, in der die Königreiche schwebten, und der Brutalität der Invasion nicht lassen konnte, seine Spielchen zu spielen …
    Natürlich taten sie das alle. Die Machtkämpfe und Rivalitäten waren mit dem feindlichen Einfall nicht verschwunden, eher im Gegenteil. Aber das war doch etwas anderes, als mitten in der Schlacht zu versuchen, Männer der eigenen Seite töten zu lassen.
    Harrakin stürzte sich ins Handgemenge und stieß sein Schwert einem Sakâs-Reiter mitten ins Gesicht; er musste seine Wut an irgendetwas auslassen. Nachdem er mit dem Stiefel dem Kopf eines Fußsoldaten einen Tritt versetzt hatte, da der Mann sich an den Kniesehnen seines Pferdes zu schaffen machen wollte, brüllte er
Rückzugsbefehle und riss sogar gewaltsam das Reittier eines Offiziers herum, der gerade den Hang hatte hinaufstürmen wollen.
    »Rückzug! Ins Lager! Ins Lager!«, brüllte er und wies auf den steinernen Torbogen.
    Sein junger Leutnant - derselbe, der beim ersten Angriff zu Harrakins Eskorte gehört hatte - wurde blass, als er die unförmige Masse von Sakâs sah, die sich zur Linken zwischen sie und das Lager zu schieben drohten.
    »Rückzug!«, schrie er nun seinerseits, und die Reiter begannen langsam, sich aus dem Kampfgetümmel zu lösen, während ringsum die jungen Rekruten aus Reynes in Panik die Beine in die Hand nahmen.
    Als Harrakin sich wieder umsah, war Laosimba verschwunden.
     
    Im Lager herrschte Chaos. Der Himmel war grau, die Luft war grau, der Boden war grau: Das Universum schien in einen verschwommenen Nebel getaucht, der nur von den metallischen Streifen des Regens durchbrochen wurde. Harrakin vertraute sein Pferd dem erstbesten Soldaten an, einem Mann aus dem Emirat, der ihn verständnislos anstarrte und ihn wohl noch nicht einmal erkannte; dann rannte er ins Innere des Lagers. Wenn er auf den Aussichtsfelsen stieg, würde er vielleicht einen Überblick über alles bekommen können.
    Um ihn herum eilten Männer hin und her, befolgten widersprüchliche Befehle. Mehrere Zias aus der dritten regulären Armee von Reynes, die im Unwetter kaum zu sehen waren, rannten zum Torbogen, um den Lagereingang zu verteidigen. Die Männer aus Harabec und die Rekruten zogen sich zurück und formierten sich neu. Die
Nâlas aus dem Emirat … Die Nâlas galoppierten nach Norden, wie Harrakin stirnrunzelnd erkannte. Warum? Die Straße wurde doch zwanzig Meilen nördlich von Truppen aus Kiranya bewacht?
    Harrakin vergaß den Aussichtsfelsen - der immer heftigere Regen hätte seine Bemühungen wohl ohnehin zunichtegemacht - und rannte in den Nordteil des Lagers. Der Boden stieg an, erst nur sanft, dann so plötzlich, dass er einen etwa zwanzig Schritt hohen Wall bildete, den man - wenn auch mühevoll - hinaufklettern konnte. Harrakin drängte sich durch eine wachsende Zahl von Soldaten und Offizieren des Emirats, die sich alle nach vorn durchzukämpfen versuchten. Endlich erreichte er trotz der sich verdichtenden Dunkelheit das obere Ende des Abhangs.
    Auch dort wurde gekämpft. Oben auf dem Wall stand Manaîn, der Neffe des Emirs, und führte sein Schwert mit weit ausholenden, theatralischen und zugleich unbeholfenen Bewegungen; er war leicht an seiner schlaksigen Silhouette zu erkennen. Seit dem Fall der Stadt

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