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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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Faez und dem Verschwinden ihres Herrschers war Manaîn nun Erbe der Dynastie. Er war vor Jahren vom Hof geflohen, als seine Eltern und Brüder in einem der unzähligen Machtkämpfe ermordet worden waren, die in regelmäßigen Abständen für blutige Zwischenfälle im Palast sorgten. Der Emir hatte ihm, wie es Brauch war, seine Besitztümer und Titel aberkannt und hatte - so erzählte man sich zumindest - fünf der besten Meuchelmörder angeheuert, um Manaîn zu finden und zu töten.
    Manaîn war also ein Unberührbarer. Gewesen. Damals, als das Emirat noch die zweitwichtigste Macht in den
westlichen Landen gewesen war. Jetzt lag der Norden des Landes in Trümmern, der Hof war nur noch Asche, und die Söhne des Emirs waren umgekommen. Die Überlebenden der fliehenden Armee hatten sich um Manaîn geschart.
    Dem jungen Mann, einem zerstreuten Gelehrten, der nichts Kriegerisches an sich hatte, war es zum Erstaunen aller geglückt, die überlebenden Soldaten und verwirrten, zornigen Adligen zum Gehorsam zu verpflichten. Sie kämpften mittlerweile darum, an seiner Seite stehen zu dürfen, hier, im strömenden Regen - um sich mit Axt-und Schwerthieben an den Barbaren zu rächen, die ihre Ländereien verwüstet hatten.
    Harrakin stieß ohne weitere Umstände einen Offizier beiseite und ging auf Manaîn zu; er zwängte sich zwischen den Adligen hindurch, die versuchten, die zehn Männer beiseitezudrängen, die die Ehre hatten, dieses kleine Stück Klippe gegen die Sakâs-Horden zu halten. Endlich gelang es ihm, sich neben Manaîn zu schieben, der sein Schwert eher mit Wut als mit Geschick umherwirbeln ließ. Sein mageres Gesicht war blutverschmiert.
    »Halas Manaîn«, schrie Harrakin, aber der junge Mann schlug weiter zu, traf erst einen Sakâs, dem es fast gelungen war, hochzusteigen, dann einen weiteren, dann noch einen dritten; er brüllte Flüche und Beleidigungen. » Manaîn! «
    Harrakin packte den jungen Mann beim Arm und zerrte ihn heftig nach hinten; vorsichtshalber hielt er sein Schwert fest, um nicht zum Opfer eines unglücklichen Hiebs zu werden.
    Die Vorsichtsmaßnahme war klug: Mit wildem Blick
versuchte Manaîn zunächst, sich loszureißen, um zuschlagen zu können. Harrakin musste ihn erst schütteln, bevor er begriff, mit wem er es zu tun hatte.
    »Ayashi Harrakin«, sagte der junge Adlige schließlich und drehte sich dann wieder zu den Sakâs um. »Ich muss …«
    »Wir müssen das Lager evakuieren!«, schrie Harrakin und schüttelte ihn erneut. Er deutete auf die Straße und die Hundertschaften von Feinden, die sie versperrten. »Wenn die Sakâs hier sind, dann riegeln die Kiranyer nicht mehr den Weg in den Norden ab.«
    Manaîn starrte ihn einen Moment lang an, ohne zu verstehen, und Harrakin verfluchte innerlich Kriege, in denen Emire und hochrangige Offiziere getötet wurden, so dass er - er, ein erfahrener Krieger! - sich das Kommando mit Neulingen teilen musste.
    »Wenn wir nicht schnell reagieren, werden sie uns umgehen und bis zu den Stufen von Avell vordringen!«
    »Aber …«, sagte Manaîn und deutete auf seine Männer, die mit wütender Rachsucht gegen die Sakâs kämpften. Er schüttelte den Kopf. »Und die da? Glaubt Ihr, dass sie hier sind, um uns zu binden?«, rief er, während der Regen noch stärker wurde und das Blut ihm immer heftiger übers Gesicht strömte.
    Harrakin zuckte mit den Schultern, drehte sich dann um und bedeutete den Soldaten, sie durchzulassen. »Ich weiß es nicht, aber was spielt das auch für eine Rolle? Jeder intelligente Kommandeur würde auf die Stufen zuhalten, und genau das werden die Sakâs tun. Eure Männer sollen sich zurückziehen! Ich werde das Hornsignal geben lassen.«
    »Der Hohepriester wird nicht einverstanden sein«,
protestierte Manaîn nach kurzem Zögern. »Er hat uns befohlen, die Verteidigung hier …«
    »Ich führe hier das Kommando«, verkündete Harrakin.
    Er nickte Manaîn zum Abschied zu und ging mit großen Schritten zurück ins Lagerinnere, um einen Offizier zu finden, dem er befehlen konnte, das Horn zu blasen, das altem Brauch entsprechend an dem Murufer geweihten Pfeiler hing.
    Harrakin hatte Manaîn mit Absicht keine Zeit gelassen zu antworten, weil er wusste, dass jede Sekunde zählte; er wollte sich nicht mit der Frage nach der Befehlsgewalt aufhalten. Traditionell befehligte bei einem Bündnis aller Königreiche der Herrscher des Emirats das gemeinsame Heer. Der Legende nach hatte Fîr den Nachkommen des Königshauses von Faez »den

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