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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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Adlerblick und die Entscheidungsgewalt der Götter« verliehen. Aber der Emir war tot, und Harrakin hatte einseitig beschlossen, dass Manaîn, da er nicht gekrönt worden war, keinen Vorrang vor dem Nachfahren des Arrethas beanspruchen konnte. Außerdem befehligte Harrakin viertausend Mann, die in Gewaltmärschen aus Harabec herbeigeeilt waren, um seinen religiösen Standpunkt zu stützen, während Manaîn weniger als zweitausend hatte.
    Als das Horn ertönte, hatte Harrakin bereits ein neues Pferd aufgetrieben und ritt im strömenden Regen mit seinen Offizieren die Straße hinunter, die zu den Stufen von Avell führte. Laosimba würde gegen seine Entscheidung protestieren, und er wollte einer Diskussion aus dem Weg gehen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine böse Wendung nehmen würde.
    Legenden waren eines, die Macht von Reynes etwas ganz anderes.

    Manaîn und Harrakin mochten sich um das Kommando streiten; die wahre Macht lag bei Laosimba.
     
    Die Stufen von Avell lagen mehr als anderthalb Tagesritte entfernt. Mit jedem Schritt wurde die Nacht eisiger, und irgendwo im Norden versuchten die Sakâs sicher, sie einzuholen.
    Harrakin hatte eine klassische Bildung genossen. Wie alle Erben der Königsdynastie von Harabec hatte er Stunden damit verbracht, die politische und militärische Geschichte der Königreiche zu studieren und auf alten Karten die Strategien früherer Kriege nachzuvollziehen.
    Wenn Reynes Jahrhundert um Jahrhundert so vielen Eroberungsversuchen und Aufständen getrotzt hatte, als die Fürstentümer noch unabhängige Königreiche gewesen waren, die sich gegen das immer schwerer lastende Joch der Stadt aufgelehnt hatten, dann war das nicht nur dem politischen Geschick ganzer Generationen von ehrgeizigen Ratsherren zu verdanken, sondern auch der Tatsache, dass die Stadt vom »Großen Kreis« geschützt wurde: einem Gebirgsring, dessen Pässe sich leicht gegen feindliche Invasionen halten ließen.
    Ein einzigartiger Schutz. Sofern die Sakâs dahinter bleiben , dachte Harrakin und ließ sein Pferd tänzeln. Wenn es genug Soldaten gibt, um die Pässe zu schützen. Die Armeen der Königreiche waren an die Westgrenze geschickt worden, um die Sakâs aufzuhalten - weit, sehr weit von der Stadt entfernt. Weit entfernt vom Großen Kreis. Sie würden Tage brauchen, sich wieder zu sammeln.
    Einen Moment lang fragte sich Harrakin, ob er der Einzige war, der sich Sorgen machte - und begriff, worin die Gefahr bestand.

    Waren sich die Ratsherren dort unten im Ratsgebäude von Reynes bewusst, dass ihre Stadt vielleicht zum ersten Mal seit Jahrhunderten in Gefahr schwebte? Manchmal hatte Harrakin den Eindruck, dass Laosimba den Sieg schon für errungen hielt und sich nur fragte, wie hoch der Preis sein würde.
    Aber die Sakâs waren immer noch in der Überzahl und kamen schnell voran.
    Der Regen wurde immer stärker, während die Reiter sich durch den Schlamm kämpften.
     
    »Gebt mir gefälligst etwas zu töten!«, schrie Manaîn und schlug mit der Faust auf einen Stein ein. »Ich habe ein Schwert und verlange zu kämpfen! Lehrt man so in Reynes die Kriegskunst? Seht ihr das als Mut an? Wie Feiglinge hinter Mauern verschanzt auf Verstärkung zu warten?«
    »Wenn es doch nur Mauern gäbe«, brummte Harrakin und beugte sich über die Kante des alten Aquädukts.
    Draußen war die Landschaft wild: ein felsiger Ort von gigantischen Ausmaßen. Vor Tausenden von Jahren war eine Felswand eingestürzt und hatte einen Spalt in den Bergen verursacht. Zur Zeit der alten Reiche waren zwei gewaltige Aquädukte errichtet worden - einer über dem anderen -, aber das Geheimnis ihrer Kanäle und des Wassers, das darin floss, war längst verloren gegangen. Noch weiter oben hatte der Rat von Reynes in jüngerer Zeit eine Steinbrücke errichten lassen. Der Ort besaß strategische Bedeutung, aber er war keineswegs eine Festung. Die Straße, die den Norden der Fürstentümer mit Kiranya verband, führte hier vorüber, und hier mussten auch die fünfhundert Soldaten vorbeikommen, die Sleys schicken
wollte - um alten Verträgen zu genügen, aber auch und vor allem, weil man dort Angst hatte, da die eigene militärische Macht geschwächt war und Sleys ohne den Schutz seines mächtigen Nachbarn nichts gewesen wäre.
    »Wir werden bald genug kämpfen«, sagte Gilas es Maras, der kommandierende General der Truppen aus Reynes.
    Gilas war am Morgen mit tausend Mann eingetroffen. Nicht etwa mit verängstigten Rekruten, sondern mit drei Zias

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