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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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Hoffnung.
    Jetzt hatten sie keine mehr.
    Der Abend hatte sich herabgesenkt, als sie das kleine, runde Zimmer betraten. Ein großes Glasfenster, das mit Gold und Mosaiken gerahmt war, öffnete sich gegenüber der Tür, keine acht Schritte entfernt. Arekh erblickte durch das Fenster den Nachthimmel und sah die Sterne ihre düsteren Runen schreiben.

    Banh und Vashni traten auf Laosimba zu, der sie am Kamin hoch aufgerichtet mit theatralischer Geste erwartete. Arekh und Lionor blieben umringt von den Wachen zurück.
    Schon bevor Laosimba den Mund öffnete, wussten sie, was er sagen würde.
    »Ich habe nachgedacht«, verkündete der Seelenleser. »Es ist ja wohl offensichtlich, dass der König von Harabec mich durch seine Abwesenheit absichtlich kränken will …«
    Banh setzte zu einer Antwort an, aber Laosimba brachte ihn mit einer Gebärde zum Schweigen. »Sein Verhalten besudelt die Verhandlungen, die mir angetragen worden sind, und ich …«
    »Wollt Ihr sterben?«, flüsterte Arekh Lionor ins Ohr, während Laosimba weitersprach. »Ihr, ich, das Kind.«
    Der Soldat, der den Schmuck erhalten hatte, warf ihnen einen neugierigen Blick zu, rührte sich aber nicht.
    Lionor war sehr blass. Sie sah Arekh an. »Ihr sagtet doch …«
    »Ich habe meine Meinung geändert«, erklärte Arekh leise. »Er wird uns wieder dort hinunterschicken.« Diesmal runzelte der Soldat die Stirn und trat einen Schritt auf sie zu. »Wollt Ihr?«
    »… und so habe ich beschlossen, die Auslieferung der Gefangenen an Harabec zu untersagen«, fuhr Laosimba fort, während Vashni entsetzt aufkeuchte. »Die Reinigung wird hier, in den Kellern des Ratsgebäudes, zu Ende geführt werden.«
    Lionor sah Arekh noch immer an. Langsam nickte sie.
    Arekh hob die Hände und vergewisserte sich, dass seine Handgelenke noch beweglich waren. Die Kette
dazwischen war etwa zwei Fuß lang, was ihm nicht viel Spielraum ließ.
    Er warf einen Blick zum Fenster. Acht Schritte, die sie bewältigen mussten, ohne dass die Wachen sie einfingen …
    »Ich habe auch beschlossen, ein Ermittlungsverfahren gegen den Thron von Harabec einzuleiten. Die Tatsache, dass die Demeana sich so viele Jahre an den allerheiligsten Orten des Hofes aufgehalten hat, wirft einen Schatten auf …«
    »Dazu habt Ihr kein Recht!«, rief Banh zornig. »Nur der Hohepriester von Reynes darf …«
    »Ich habe Euch eine traurige Neuigkeit mitzuteilen«, sagte Laosimba. Er sah die Anwesenden einen nach dem anderen an; sein Blick blieb mit einem beinahe genießerischen Lächeln an Vashni hängen. »Der Hohepriester hat seine Seele vor zwei Stunden Fîr zurückgegeben.«
    Ein langes Schweigen trat ein. Niemand fragte, wer sein Nachfolger war.
    Denn das wussten alle.
    »Ihr!«, sagte Laosimba plötzlich an Arekh und Lionor gewandt. »Tretet vor!«
    Die beiden Gefangenen gingen langsam bis in die Mitte des Raums.
    Es waren nur noch vier Schritte bis zum Fenster. Jenseits der rautenförmigen Scheiben lag die Leere.
    Fünf Stockwerke Steinmauern.
    »Sogar ein unschuldiges Herz wie das dieses Kindes kann vom Schatten des Bösen berührt werden«, sagte Laosimba mit Blick auf den Säugling in Lionors Armen. »Heute wird meine erste Amtshandlung als Hohepriester darin bestehen, mit der Reinigung dieser Seele zu beginnen.«

    »Nein!«, schrie Vashni.
    »Wachen!«, befahl Laosimba und wies auf das Kind. »Packt dieses …«
    Arekh legte die Hände um Lionors Taille, machte einen Schritt zurück und zog die junge Frau mit. Lionor drückte das Kind an sich und schloss die Augen.
    » Wachen! «, brüllte Laosimba.
    Zu spät. Arekh raffte seine letzten Kräfte zusammen, zog Lionor an sich und sprang auf die Nacht zu, die sie dort draußen erwartete.
    Seine Schulter traf auf die Fensterscheiben und ließ das Glas in tausend Stücke zersplittern. Die drei Körper stürzten ins Leere.
     
    Die Sonne ging über dem Wald auf. Die Verbannten hatten Bara und Marikani kurz vor der Morgendämmerung am Ufer des Flusses Qê abgesetzt. Die beiden waren danach ohne Pause gewandert und hatten die Dunkelheit genutzt, um Straßen zu überqueren und an schlafenden Dörfern vorbeizugelangen.
    Sie erreichten den Waldrand nach zwei Marschstunden. Das Lager lag zehn Meilen nördlich. Sie waren noch lange nicht angekommen, aber trotz ihrer Müdigkeit und der Albtraumbilder, die sie in der Nacht heimgesucht hatten, fühlte Marikani sich erleichtert. Der Wald war ein Zufluchtsort. Die hohen Zweige schützten sie vor Blicken.
    Sie stieg

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