Volk der Verbannten
kampferprobter Soldaten aus der Hauptstadt. Sie trugen schwarz-silberne Uniformen und waren mit Waffen aus den besten Werkstätten der Stadt ausgerüstet.
Schweigen folgte seinen Worten.
Dann begann Manaîn erneut, mit funkelnden Augen über die Steine zu tigern. »Nein. Nicht bald genug. Alles andere als bald genug! Wisst Ihr, was sie getan haben? Was sie zerstört haben?« Gilas hob die Hand, um das Wort zu ergreifen, aber der Neffe des Emirs fuhr bereits fort: »Das Land meiner Vorfahren … es existiert nicht mehr! Ihr … Ich bin dort aufgewachsen«, setzte er mit rauer Stimme neu an. »Im Palast … mit den …« Er machte eine hilflose Gebärde, als sei es ihm unmöglich zu beschreiben, was er empfand. »Meinen Onkel beweine ich verständlicherweise kaum, aber er hatte die schönste Kunstsammlung der Königreiche, die seit Generationen über Jahrhunderte hinweg aufgebaut worden war. Wisst Ihr, wie viele Bücher es in der Bibliothek von Faez gab? Wisst Ihr es? Ich habe dort studiert. Und jetzt … Meine Freunde, meine Hauslehrer, meine Cousinen … alle Erinnerungen an meine Eltern, meine Familie … Und da fordert Ihr mich auf zu warten?«
Gilas trat auf den jungen Mann zu und legte ihm die
Hand auf den Arm. »Hört mich an, Halas Manaîn.« Er sprach in sanftem Tonfall, und Manaîn sah ihn mit tränenfeuchten Augen an. »Ihr seid der einzige Überlebende einer edlen Dynastie. Ihr habt alles verloren. Schwarzer Zorn treibt Euch an - und der ist schlecht. Er hat schon abgehärtetere Krieger als Euch ins Verderben gerissen. Heute lastet schwere Verantwortung auf Euch. Ihr könnt Euch nicht erlauben, Euch von solcher Unvernunft hinreißen zu lassen, wenn …«
Harrakin seufzte und entfernte sich, wandte seine Aufmerksamkeit von dem Gespräch ab. Gilas hatte recht, aber seine Worte waren zwecklos. Manaîn hatte keine Zukunft. Harrakin kannte diese Art Mensch. Manaîn würde sterben, auf ebenso heroische wie törichte Weise, und die Überlebenden der Armee des Emirats würden jemand anderen finden müssen, um den sie sich scharen konnten; das würde die allgemeine Verwirrung noch steigern.
Man konnte nichts tun. Das spürte gewiss auch Gilas. Jemand, der zu solcher Verantwortung aufgestiegen war, hatte sicher lernen müssen, unter seinen jungen Offizieren diejenigen zu erkennen, die eine Zukunft hatten - und diejenigen, die den Tag nicht überstehen würden. Männer, für die ihre Intelligenz und ihre Tapferkeit sprachen, die aber dennoch einen Weg fanden, sich auf eher theatralische als sinnvolle Art zu opfern, so dass weniger brillante Gestalten ihren Platz einnahmen. Schwarzer Zorn, Todessehnsucht, der Ruf der Abgründe. Es gab viele Namen für dieses Phänomen, aber es war allen Kennern der menschlichen Seele nur zu gut vertraut.
Harrakin seinerseits verspürte nicht die geringste Todessehnsucht.
Schritte auf dem Stein kündigten Laosimbas Erscheinen an, und bald steckte der Hohepriester den Kopf unter der Leinwand hindurch, die mit einigen Stühlen und einem Tisch das Kommandeurszelt hoch oben auf dem Aquädukt bildete.
Gilas erhob sich und verneigte sich tief vor dem Hohepriester. Harrakin stand seinerseits langsamer auf, schlug das Zeichen des Fîr und neigte den Kopf. Manaîn tat es ihm nach, bevor er wieder im Zelt auf und ab zu laufen begann, so dass seine Schwertscheide gegen die Zeltwände stieß.
»Ich freue mich, Euch wiederzusehen, Hohepriester«, sagte Harrakin.
Die Liebenswürdigkeit war notwendig, um herauszufinden, wie es um ihr Verhältnis bestellt war. Indem er sich höflich und respektvoll gab, zwang Harrakin Laosimba, das Gleiche zu tun oder hervorragende Gründe zu finden, ihn zu attackieren.
Ohne ein Wort und ohne Gilas’ Gruß zu erwidern zog Laosimba sich einen Sessel heran und setzte sich. Die Soldaten hatten Möbel aus evakuierten Dörfern zusammengetragen, und dabei war eine seltsame Mischung herausgekommen: Laosimbas Sessel war purpurn und golden und wirkte fehl am Platze neben dem Küchentisch und den Holzstühlen, die das übrige Mobiliar bildeten. Doch der Sitz schien wie für den Hohepriester und seine Persönlichkeit geschaffen. Laosimba ließ sich darauf nieder wie auf einem Thron, als sei es ihm von Natur aus und dem Willen der Götter gemäß bestimmt, über sie und ihr Schicksal zu befinden. Als wolle er über sie richten … Die Befugnis dazu hatte er jedenfalls.
Als die Sakâs die Berge überschritten hatten, hatte Harrakin
Boten nach Harabec geschickt, um
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