Volk der Verbannten
hatten, wuchs kein Gras mehr - nur noch Dornen, Asche und Blumen aus Blut.
Wussten sie nicht, dass sie sich selbst ihr Todesurteil sprachen, wenn sie die Landstriche verwüsteten, durch die sie zogen? Dass sie eines Tages, wenn erst alles zerstört war, nichts mehr zu verbrennen finden würden und …
Der Assistent blieb stehen und drückte die Pergamente an sein Herz. Zu seiner Rechten öffnete sich ein neuer Gang, dunkel und wenig begangen, der zu einer Reihe nur zeitweilig genutzter Schreibzimmer führte. Dort wollte er nicht entlang. Die Schreibzimmer waren im Augenblick unbesetzt: Angesichts der Notlage waren die fremden Gesandtschaften alle in den Nordflügeln zusammengezogen worden - den Kriegsflügeln, die Fîr geweiht waren.
Die Schreibzimmer waren also unbesetzt, doch der Assistent hatte gerade etwas bemerkt und fand es bestätigt, als er sich vorbeugte, um besser sehen zu können. Jemand hatte nämlich einige Schritte von der Einmündung des Ganges entfernt eine Schriftrolle fallen lassen, die gut sichtbar das leuchtend grüne Sekretsiegel der königlichen Briefe aus Kiranya trug.
Der Assistent des Ratsherrn Myrnes vergaß das Schicksal der Welt und dachte an seine Karriere. Wenn diese Schriftrolle geheime Befehle des kleinen Königs von Kiranya an seine Gesandten enthielt … Wenn er sie an sich brachte, würde Ratsherr Myrnes seine Informationen teuer an seine Kollegen verkaufen und neue Privilegien erhalten können. Wenn diese Privilegien sich erst ausgezahlt hatten, würde er sich sicher dem treuen Assistenten gegenüber dankbar erweisen, der ihn in die Lage versetzt hatte, sie zu erhalten.
Der junge Assistent sah sich um … Niemand. Nach einem kurzen Zögern bog er um die Ecke, machte einige schnelle Schritte durch den Schatten und bückte sich nahe der Statue des Ratsherrn Hui, um das Pergament aufzuheben.
Er sah den Tod nicht kommen. Eine Hand legte sich auf sein Gesicht und riss ihm den Kopf zurück. Eine kurze Klinge, die nicht besonders gut geschärft war, wurde auf sein Fleisch gedrückt und drang dann brutal darin ein. Alles verschwamm vor seinen Augen, und der junge Assistent sackte ohnmächtig zusammen.
Er spürte nicht, wie sein Körper den Gang entlang tiefer ins Dunkel und dann durch das Schreibzimmer Nummer drei geschleppt wurde, auf eine Ansammlung staubiger Schränke und Regale zu.
Als sein Mörder ihn ohne weitere Umstände hinter einen gewaltigen Schrank am Ende des Zimmers neben eine vergessene Kiste mit unbeschriebenem Papier warf, war er bereits tot.
Arekh wischte den winzigen Zierdolch gründlich an der Jacke des Toten ab, steckte ihn in die hintere Tasche seiner
Leinenhose und kniete sich dann hin, um die Taschen des Leichnams zu durchsuchen. Er fand darin zunächst ein stählernes Papiermesser mit dem Stempel von Reynes, viel besser geschärft als der dumme Dolch, mit dem er bisher hatte arbeiten müssen. Perfekt. Dann Geld, ungefähr dreißig Res, hervorragende Beute. Zwei Leinentaschentücher. Auch die würde er behalten. Eine lederne Brieftasche, die einen vom Ratsherrn Myrnes unterzeichneten Passierschein enthielt. Sofort wegwerfen! Wenn das Verschwinden des Assistenten bekannt wurde, würde es einer sofortigen Verurteilung gleichkommen, sich mit diesem Passierschein erwischen zu lassen.
Arekh kehrte in den Korridor zurück und sammelte die Schriftrollen und Papiere auf, die über den Teppich verstreut lagen. Die neuesten Nachrichten des Tages. Die würde er später lesen.
Dann stand er auf, durchquerte erneut das Schreibzimmer Nummer drei, öffnete die Dienertür, die sich an der Rückwand befand, ging durch eine Reihe verlassener Gänge und über Nebentreppen, die das Archiv mit dem ungenutzten Zwischengeschoss des ehemaligen Gebäudes für Steuerangelegenheiten und Bittgesuche verbanden, und gelangte schließlich in den dritten Stock des Weißen Gebäudes, das zwei Generationen lang die privaten Schreibzimmer der Ratsherren aus dem Süden beherbergt hatte und heute nicht mehr genutzt wurde.
Auf dem gesamten Weg war er keiner Menschenseele begegnet. Alles war verlassen.
Zweiter Gang links, vierte Tür rechts. Das Schreibzimmer des Ratsherrn Im-Ahr, dem er zwei Jahre lang als Spion, Bote und Meuchelmörder gedient hatte.
Im-Ahr hatte sich inzwischen auf seine Ländereien zurückgezogen.
Das Schreibzimmer war hell und still. Arekh trat auf die Statue der drei tanzenden Töchter Verellas zu, die an der linken Wand verstaubte, und öffnete den dahinter
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