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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
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ein Phantombild machen oder was?»
    «Äh, na ja …»
    «Schade, dass ich ihn nicht gesehen hab», warf der Heimeder ein. «Ich hab nämlich ein fotografisches Gedächtnis. Ich schau mir die Noten von einem neuen Stück einmal an, und schon sind sie gespeichert.»
    «Das hört man bei deinen Auftritten aber nicht gleich heraus», sagte der Einundzwanziger ungerührt.
    Suchanek war jetzt endgültig an ihnen vorbei. Mit gerunzelter Stirn stand er vor dem Eingang des Geschäfts. Es war ja so: Milch hätte er sich eventuell vom Grasel schnorren können, das wäre angesichts der anderen Sachen, mit denen er von ihm so versorgt wurde, auch schon wurscht gewesen. Aber Rasieren musste halt auch sein. Weil der Suchanek nämlich sofort eine mindere Form der Schuppenflechte bekam, wenn er sich zwei Tage nicht rasierte. Und obwohl ihm sonst eigentlich vor nicht so viel grauste, bedeutete «mindere Form» in diesem Fall, dass man am besten alle Spiegel verhängte. Also musste der Suchanek einkaufen gehen. Obwohl er sich so überhaupt nicht sicher war, ob das denn auch gescheit war.
    Denn einkaufen bedeutete: Susi.

[zur Inhaltsübersicht]
5
    Mit der Susi hätte Suchanek ja ohne weiteres gehen können, als er fünfzehn war. Nicht, dass sie ihn jemals gefragt hätte. Und auch nicht, dass sonst einmal irgendetwas vorgefallen wäre, das den Schluss zugelassen hätte, in ihrem nicht nur, aber auch wegen der völligen Abwesenheit schützenden Busens eigentlich wie ein offenes Buch daliegenden Herzen schlummere dieser unbändige Wunsch. Aber geschaut hatte sie immer so.
    Wenn er noch einmal fünfzehn wäre, aber schon ausstaffiert mit der enormen Lebenserfahrung von heute, dachte Suchanek, während er sich hingebungsvoll dem Vergleich der ausgeklügelten Gleitstreifensysteme zweier Packungen Einwegrasierer widmete, dann würde er susimäßig durchaus fünf gerade sein lassen und nicht mehr finden, dass sie zu schiach für ihn sei.
    Denn seine Lebenserfahrung, die er allerdings nur um ihre Meinung fragte, wenn es gar nicht mehr anders ging, weil die sich nämlich fortgesetzt weigerte, den Unterschied zwischen Offenheit und Brutalität zu kapieren, hätte den Fünfzehnjährigen, von einem strapazierfähigen Netz eitriger Pusteln zusammengehaltenen Suchanek angebrüllt: «Zu schiach? Für dich? Rate mal, wer mit 33 die Zahl der Frauen, mit denen er im Bett war, immer noch an der einen Hand abzählen können wird, mit der er sich gerade keinen runterholt!»
    Das war jetzt noch dazu ein Spruch von seiner Mutter. Der mit der Lebenserfahrung. «Einmal noch dreißig sein – aber so gescheit wie heute.» Suchanek hatte das eigentlich immer recht bescheiden von ihr gefunden. Nicht den Teil mit den dreißig. Und jetzt konnte er mit Stolz vermelden, dass ihm die Fußstapfen seiner Altvorderen diesbezüglich nicht zu groß waren.
    Sie hatten sich ja eigentlich auch immer gut verstanden, die Susi und er. Genau genommen war sie sogar sein bester Freund gewesen. Aber so viel hieß das jetzt auch wieder nicht, denn die Massenschlägereien, bei denen sich alles um seine Gunst prügelte, hatten sich immer schon in eher engen Grenzen gehalten.
    Es gab Tage, an denen störte den Suchanek seine soziale Verwahrlosung sogar. Und dann sah er auch ein, dass es mitunter doch recht nützlich sein kann abzuheben, wenn das Telefon läutet. Und dass sich, sofern man dazu gerade keine Kraft hat, weil sie einem von diesem ungeheuer ereignisreichen Leben zwischen Couch, Pizzaschachteln und Couch wieder einmal völlig ausgesaugt wurde, ein Rückruf als Alternative geradezu aufdrängt. Er hatte die Susi kein einziges Mal angerufen, seit er aus Wulzendorf weggezogen war. Und bald hatte sie dann überraschenderweise auch damit aufgehört. Und als dann ihr Mann den Unfall hatte, es also einen wirklich guten Grund gegeben hätte, sie anzurufen, war schon so viel Zeit vergangen, dass sich Suchanek nicht mehr traute.
    Das musste jetzt fünf oder sechs Jahre her sein, dass der Kanschitz Martin in der Marterlkurve zwischen der «Tenne» in Langegg und dem «Check In» in Tiefenbrunn geradeaus gefahren war, obwohl links die wesentlich bessere Wahl gewesen wäre. Und wenn der Hannes, der Mann von der Susi, am Beifahrersitz angeschnallt gewesen wäre oder wenn wenigstens die Muttergottes in dem Marterl auf der anderen Straßenseite ihrer Schutzfunktion etwas enthusiastischer nachgekommen wäre – dann hätte der Hannes eventuell auch die Geschichte von dem auffälligen Auto mit

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