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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
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den vier aufgeblendeten Zusatzscheinwerfern, das ihnen in der Kurve auf ihrer Seite entgegengekommen sei und den Martin zum Verreißen gezwungen hätte, bestätigen können.
    Aber so war er halt tot. Und die Susi allein mit zwei kleinen Kindern. Und einem Rohbau in der Sackgasse vom Suchanek.
    Die alten Kanschitz hatten der Susi dann zwar eh geholfen, mit dem Haus und so. Und sie waren ja auch gestraft, mit dem Buben im Rollstuhl, der in dem Zustand die Wirtschaft natürlich nie übernehmen können würde. Weil dem Kanschitz Martin halt die vielen Überschläge, bis das Auto endlich in einem Acker auf dem Dach und auf dem Hannes zu liegen gekommen war, das Kreuz gebrochen hatten. Aber trotzdem. Die Susi wäre sicher froh, wenn sie den Hannes zumindest noch in der Gegend hätte herumschieben können, statt verblühte Stiefmütterchen über ihm abzuschneiden.
    Obwohl der Suchanek ja zugeben musste, dass er den Hannes nie wirklich hatte leiden können. Er war genauso ein versoffener Depp gewesen wie die meisten anderen Burschen im Ort. Die Susi hätte wirklich was Besseres verdient gehabt. Aber wenn man so aussah wie sie, machte das Bessere halt gleich automatisch einen Bogen.
    Wobei, so schiach war sie ja jetzt gar nicht mehr. Weil auch, wenn er seit fünfzehn Jahren nicht mit ihr gesprochen hatte, gesehen hatte Suchanek die Susi vor einer Weile doch einmal. Sie war in einem Fernsehspot dieser Ladenkette aufgetreten, die vor allem am Land langsam die ganzen Greißler übernahm, aber irgendwie so, dass die trotzdem in ihren Geschäften bleiben konnten. Suchanek fand das ja unerklärlich, aber so war das Abenteuer Wirtschaft für ihn sowieso immer. In diesem Kleinod postindustrieller Konsumstimulierung hielten jedenfalls hochambitionierte Nahversorger ein tieftrauriges Appetitbrot oder ein rechtsdrehendes Motoröl oder eine dauerpreisgesenkte Tellermine in die Kamera und sagten dann im volkskulturell wertvollen Dialekt von St. Vinzenz am Autobahnzubringer: «Des is mei Extra!»
    Suchanek konnte sich nicht mehr erinnern, was Susis Extra gewesen war. Er wusste allerdings noch ganz genau, dass sie wesentlich besser ausgesehen hatte als mit fünfzehn. Die Zähne waren gerade, das früher knochige Gesicht fülliger, und die Haare sahen auch nicht mehr aus wie ein geschreddertes Geheimdokument. Den Busen hatten sie nicht hergezeigt.
    Susi hatte ihn nicht bemerkt, als er ins Geschäft gekommen war. Sie war gerade an der Kassa mit zwei Kundinnen beschäftigt gewesen, und Suchanek bog sofort in den ersten Gang zwischen den Regalen ab, weil er die erwartbare Peinlichkeit der Begrüßungsszene nicht auch noch vor Zeugen zelebrieren wollte. Sie würden sich steif die Hände geben, hölzern nach dem Befinden des anderen fragen, vielleicht sogar zwei in ihrer Fremdheit heftig schmerzende Wangenküsse austauschen. Dann würden sie nicht wissen, was sie sagen sollten, bis sich einer von ihnen – und die Chancen standen gut, dass es er sein würde – für ein ausdrucksstarkes «Und?» entscheiden würde. Man sollte sich ja in Wirklichkeit schon allein wegen des Wiedersehens nicht wiedersehen, fand Suchanek.
    In der Hoffnung, dass die störende Kundschaft in der Zwischenzeit verschwinden würde, ließ er sich bei den Rasierern so lange Zeit wie nur irgendwie möglich. Wobei man jetzt einwenden könnte, dass er im Supermarkt in der Hygieneabteilung sowieso immer ewig brauchte. Und das nicht etwa, weil er in Sachen Hygiene irgendwie übertrieben hätte. Nein, eigentlich nicht. Eigentlich überhaupt nicht. Aber was ihn doch sehr beunruhigte und zum ganz genauen Hinsehen motivierte, war die Tatsache, dass in diesen Konsumtempeln die Abteilung für Körperhygiene ja immer quasi fließend in jene für Raum- und Sanitärhygiene überging.
    Das war nichts für den Suchanek.
    Ihn verfolgte die Angst, er könnte einmal etwa auf der Suche nach einem sympathischen Mundwasser eine ebenso anheimelnd bunte Dose mit, sagen wir, Rohrreiniger erwischen. Und dann nach dem ersten Gurgeln zu Hause erst einmal seine Zähne im Maschinengewehrstakkato auswerfen und anschließend eines ebenso einsamen wie grässlichen Todes sterben. Wobei man jetzt nicht den Eindruck gewinnen sollte, dass der Suchanek irgendwie neurotisch gewesen wäre oder was.
    Endlich warf er eine Packung Rasierer in seinen Korb und schlenderte weiter. Er steuerte die Milch an, erlegte zwei Packungen und sammelte dann nach dem Zufallsprinzip noch Brot, Wurst, Käse, Fruchtsaft und eine

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