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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
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Flasche Wodka ein. Dann ließ er sich, bewusster Konsument, der er war, seine Kaufentscheidung noch einmal durch den Kopf gehen, kam zu dem Ergebnis, dass sie verbesserungswürdig war, machte kehrt, stellte den Fruchtsaft wieder ins Regal und holte sich noch eine Flasche Wodka.
    Vor der letzten Kurve, an deren Ausgang Susis Kassa war, blieb er stehen und lauschte. Die waren ja immer noch da. Na geh. Zwei alte Weiber, den Stimmen nach zu schließen.
    «Und das schöne Kreuz mit den grünen Steinen, das sie sich damals bei unserer Fußwallfahrt nach Maria Dreieichen gekauft hat, weißt du noch?»
    «Ja, freilich weiß ich das noch. Mir wär’s zu teuer gewesen. Aber die Maßstäbe von der Johanna waren da ja immer schon andere.»
    «Das ist so richtig mit ihrem Fleisch verschmolzen durch die Hitze. Die Dreier-Kanschitzin hat es selbst gesehen.»
    «Das ist so grauslich, das kann man ja gar keinem sagen! So was sieht man doch sonst nur im Fernsehen – und jetzt hat man das auf einmal mitten im eigenen Dorf! Da traut man sich ja gar nicht mehr auf die Straße!»
    «Ich sag so: Dass das gerade dann passiert, wenn das ganze Dorf voll ist mit Zigeunern, kann kein Zufall sein.»
    «Was denn für Zigeuner?»
    «Warst du schon beim Volksfest? Schau dir die einmal alle an dort, die von den Schießbuden und dem Autodrom und alles. Lauter so Schwarze.»
    «Du meinst so Schwarze wie der Pater Akwuegbu?»
    «Nein, nicht
so
schwarz schwarz. Dunkel halt. Mein Gott, jetzt stell dich halt nicht so an! Wie Zigeuner eben ausschauen!»
    «Wenn früher was passiert ist, waren es bei dir immer gleich die Slowaken.» Das war jetzt die weiche Stimme von Susi. «Und jetzt sind’s die Zigeuner? Geh, Zwölferin!»
    Die Zwölfer-Leitnerin war also die eine von den zwei Frauen. Die Zwölferin hatte der Suchanek in nicht lückenlos guter Erinnerung. Er hatte früher in der Kirche vor allem an hohen Feiertagen mit seiner singenden Mutter auf den Chor mitgehen dürfen. Das hatte der kleine Suchanek meist sehr spannend gefunden, weil dort oben an der Orgel zog vermutlich auch heute noch der Achter-Hiefler seine Show ab. Der Achter war der Jerry Lee Lewis unter den Kirchenorganisten. Er turnte mit begeisterndem Ganzkörpereinsatz auf seiner Bank herum, als wäre «Gro-ßer Go-hott wir lo-ho-ho-ben dich» – Suchaneks persönlicher sakraler Tophit – eine Coverversion von «Great Balls Of Fire». Und es hätte Suchanek damals überhaupt nicht gewundert, wenn die altersschwache Orgel unter den erstaunlich flinken Händen dieses vermutlich aufgrund einer Kombination aus leichter Herzinsuffizienz und mittelschwerem Alkoholmissbrauch stets blaugesichtigen Schwergewichts zu Bruch gegangen wäre, so, wie er sie traktierte.
    Eines Tages allerdings, mit vielleicht sieben oder acht Jahren, wurde der Suchanek auf dem Chor von heftigen Bauchschmerzen ereilt, und weil man natürlich wegen so was nicht während der Messe stört, weil die doch heilig ist, hatte er schließlich nach schrecklichen sowohl körperlichen wie auch psychischen Krämpfen einfach in die Hose geschissen. Und die Zwölferin, die das als Erste gerochen hatte, hatte gefunden, dass hier eindeutig eine Erziehungsmaßnahme vonnöten sei, und ihm auch noch eine ordentliche Watschen verpasst. Wenn das heute jemand bei einem fremden Kind im Beisein von dessen Mutter macht, muss er davon ausgehen, sich Sekunden später mit durchgebissener Gurgel auf dem gewaltfreien Kindergruppen-Flokati in seinem Blute zu wälzen. Suchaneks Mutter hatte das damals aber weitaus lockerer gesehen und ihm nach Verlassen der Kirche auch noch eine runtergehaut.
    «Ich sag so», sagte die Zwölferin so, «der Eiserne Vorhang war nicht nur schlecht. Vor allem nicht für unsere Seite.»
    «Ist eigentlich irgendwas gestohlen worden auch?», mischte sich die andere wieder ein.
    «Angeblich schaut im Haus drin alles so weit normal aus.»
    «Das spricht aber dann gegen deinen Verdacht mit den Zigeunern. Die hätten das Haus ja wohl auf den Kopf gestellt. Weil bei den Mantlern gibt’s ja sicherlich genug zu holen.»
    «Das sagt noch gar nichts. Vielleicht wollten sie ja den Heuwagen aus dem Stadl stehlen.»
    «Zwölferin», meldete sich mit Susi wiederum die Stimme der Vernunft. «Was in aller Welt macht ein Zigeuner, der erstens wahrscheinlich gar keiner ist und zweitens hier bei uns am Volksfest arbeitet, mit einem depperten Heuwagen?»
    «Mein Gott, bist du naiv! Ich sag so: Der Zigeuner als solcher kann im Prinzip alles

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