Volksfest
brauchen. Solange er es nicht zahlen muss. Außerdem: Wer bitte soll es denn sonst gewesen sein? Die Johanna hat doch nie mit jemandem Probleme gehabt!»
Zehn Sekunden Stille. Dann sagte die andere Frau: «Na ja.»
«Was heißt ‹Na ja›?»
«Eine Einfache war sie nicht gerade. So ehrlich muss man schon sein.»
«Also, das ist doch … Die Mantlerin ist noch nicht einmal kalt und du …»
Die Zwölfer-Leitnerin verstummte. Offenbar war ihr selbst aufgefallen, dass ihre Formulierung angesichts einer Feuerleiche doch ziemlich hübsch klang. Dann fing sie sich wieder und giftete: «Du bist doch nur beleidigt.»
«Wieso sollte ich beleidigt sein?»
«Na, wegen der Legio. Weil du auch die Vorsitzende werden wolltest.»
«Das hat damit überhaupt nichts zu tun! Die Wahrheit wird man ja wohl noch sagen dürfen. Und die Wahrheit ist nun einmal, dass sich die Johanna mit ihrer Art nicht nur Freunde gemacht hat.»
«So, jetzt ist es aber genug», sagte Susi ebenso begütigend wie erfolglos.
«Eine Kampfabstimmung haben wir damals machen müssen! Eine Kampfabstimmung! In der Legio! Wann hat man so was schon gehört?», redete sich die Zwölferin jetzt voll in Rage. «Weil du einfach keine Ruhe gegeben hast. Unbedingt wolltest du der Johanna den Vorsitz wegnehmen, obwohl sie ihn doch schon jahrelang gehabt hat!»
«Wenn sie sich nicht so aufgeführt hätte, dann hätte ich ja gar nicht kandidiert. Aber sie hat ihren Spitznamen schon zu Recht bekommen, so heilig, wie sie war. Oder soll ich sagen: scheinheilig? Außerdem ist das ja wohl mein gutes Recht, auch zu kandidieren. Wir leben schließlich in einer Demokratie. Auch wenn ihr Großbauern glaubt’s, alle anderen sind automatisch eure Diener.»
«Na, das wird ja immer besser!», höhnte die Großbäuerin zurück. «Ausgerechnet die Frau Gerstmeier sagt so was? Die ihr Lebtag so getan hat, als ob sie die Bürgermeisterin wäre? Die sich so furchtbar gescheit vorkommt? Susi, weißt du, was sie damals gesagt hat? Na komm schon, sag der Susi, was du damals gesagt hast, nachdem du verloren gehabt hast! Los!»
«Nein, bitte. Ich will es gar nicht hören. Schluss jetzt», sagte Susi schwach.
Die Gerstmeierin war also die andere. Vor der Pension war sie die Gemeindesekretärin in Bernhardsau gewesen. Und die Zwölferin hatte sicher nicht unrecht. Funktioneller Analphabetismus war schon immer das liebste Hobby der Bernhardsauer Bürgermeister gewesen. Also hatte eine Sekretärin, die klüger war, eine ziemliche Machtposition inne. Die Gerstmeierin war wirklich die heimliche Chefin gewesen. Und dass sie mit der Johanna nicht gekonnt hatte, war keine große Sensation. Zwei Alphawölfinnen, beide randvoll mit Sendungsbewusstsein und noch mehr Geltungsdrang.
«Mir reicht’s jetzt», hyperventilierte die Gerstmeierin. «Ich bin es nicht gewöhnt, auf so einem Niveau zu diskutieren. Ich gehe!»
Suchanek hörte einige empörte Schritte und dann die Tür auf- und zugehen.
«Weißt du, was sie nachher gesagt hat?», keppelte die Zwölferin weiter. «Der Herr gibt’s, der Herr nimmt’s – und manchmal irrt sich auch er. Aber er wird das schon noch reparieren. Na ja – jetzt ist es ja repariert. Aber der Herr hat die Johanna sicher nicht angezündet!»
«Zwölferin, jetzt gib doch eine Ruh. Ich hab immer geglaubt, bei euch in der Legio geht’s ums Beten und um Nächstenliebe und so.»
«Ja. Eh», sagte die Zwölferin nach einer kleinen Pause.
«Also was soll dann das ganze Theater?»
Wieder zögerte die Leitnerin einen Moment. «Tut mir leid, dass ich mich so aufgeregt habe», sagte sie dann, merklich leiser. «Aber wenn man nicht einmal den Anstand hat, dass man eine Tote in Ruhe lässt.»
«Eh. Aber wenn ihr schon unbedingt streiten müsst, dann bitte das nächste Mal nicht bei mir.»
Die Zwölferin ging erstaunlich kleinlaut ab. Jetzt war es also so weit. Jetzt konnte Suchanek endlich beweisen, dass er, auch wenn es ihm vielleicht nicht jeder rückhaltlos zutraute, in außergewöhnlichen Situationen sehr wohl zu berühmten ersten Worten fähig war. Er holte tief Luft und ging dann auf Susis Pult zu.
«Servus, Susi.»
Wui, Suchanek. Könnte in die Geschichte eingehen.
Susi kniff die Augen zusammen und schaute eine Weile ziemlich blöd. Dann teilten sich ihre schmalen Lippen zu einem warmen Lächeln. «Suchanek», sagte sie. «Mein Gott, der Suchanek.»
Sie kam auf seine Seite des Pultes und schlang ihre Arme um ihn. Als Suchanek dasselbe tat, roch er, dass
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