Volksfest
über ihre Oberschenkel lag ein Gewehr. Der Lauf ruhte in dem offenen Seitenfenster.
Da war alles angerichtet für ein zünftiges Drive-By-Shooting. Langsam erhielt Wulzendorf ja wirklich Anschluss an die moderne westliche Welt.
Wobei der Urban Ernstl, das musste man zu seiner Ehrenrettung jetzt schon sagen, in Wirklichkeit nur vorgehabt hatte, hier hinten bei der Kläranlage einmal in aller Ruhe die Liegesitze auszuprobieren. Aber da hier ja gar keine Ruhe war, beschloss er umgehend, seine wahren Intentionen geschickt zu verschleiern. Also brüllte er mit weit aufgerissenen Augen: «Sie haben ihn!»
«Wen? Den Bertl?», brüllte Grasel zurück.
«Den Mörder!»
«Was? Wer ist es?»
«Keine Ahnung!»
Sie hatten ihn und wussten nicht, wer es war? Wahrscheinlich hatte ihm also einer der Hilfssheriffs ins Gesicht geschossen, und jetzt war eine Identifizierung nur mehr mit DNA möglich.
Langsam kam aber sogar dem Urban, dass die Situation, in der er sich gerade eingeparkt hatte, irgendwie keine normale war. «Was macht ihr da?»
«Ja», sagte die Gerstmeierin mit einem Unterton, der jetzt dann doch schon ein wenig sehr unangenehm ausfiel. «Das würde mich auch interessieren.»
Grasel überging diesen Problemkreis großzügig. «Warum wissen die nicht, wen sie haben?»
«Na, die werden es hoffentlich schon wissen. Aber sonst weiß es keiner. Der Kommissar erklärt es gleich, vorne beim Fußballplatz.» Ernstl schaute auf seine Uhr. «In zehn Minuten.»
Suchanek und Grasel schenkten dem jeweils anderen einen kurzen, aber ausdrucksstarken Blick. So eine Chance musste man nutzen. Sie liefen zu dem Auto. Grasel wies auf Suchanek und sagte zu dem Mädchen: «Hallo, Bonny! Der da ist Clyde. Was dagegen, wenn wir einsteigen?»
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19
Die Zielflaggen vom jungen Zwölfer flatterten sanft im Wind, der hier in der Steppe eigentlich so gut wie immer wehte. Wahrscheinlich, weil nicht einmal die Luft einen Grund sah, hier länger als unbedingt nötig zu bleiben. Hinter den Fahnen hatten sich zwei Barett-Bullen hingegossen, deren steinerner Richtiger-Mann-Gesichtsausdruck sehr hübsch mit dem bestickten goldenen Tuch mit der Fransenbordüre kontrastierte, das den Feldaltar bedeckte.
In der Mitte saß Kommissar Wimmer, schon deutlich entspannter als noch vor ein paar Stunden, als er an derselben Stelle mit der Aufrüstung der Bürgerwehr konfrontiert gewesen war. Nach ein paar letzten Flüstereien mit einem hinter ihm stehenden Lakaien stand er schließlich auf und griff wieder einmal zu dem mittlerweile – natürlich neben Schrotflinten, Macheten oder sonstigen Mordwerkzeugen – beliebtesten Gerät in Wulzendorf: dem Megaphon.
«Werte Damen und Herren», begann Wimmer. Dann machte er eine lange Pause, die er so richtig genoss, weil diesmal keiner «Buh!!» oder sonst was brüllte.
«Angesichts der begreiflichen Aufregung, die aufgrund der sich überstürzenden Ereignisse ausgebrochen ist, erachte ich es als meine Pflicht, Sie über den jüngsten Fahndungserfolg der Polizei zu informieren», fuhr er mit unübersehbarer Befriedigung fort. «Ich tue dies auch in der Hoffnung, dass sich die Situation nunmehr beruhigt und normalisiert und die Polizei bei der restlosen Aufklärung dieses Falles nicht mehr durch unüberlegte und gefährliche Aktionen Einzelner behindert wird. Ich darf Ihnen also mitteilen, dass aufgrund der Beweislage und vor allem aufgrund neuer Erkenntnisse, die wir der Umsichtigkeit der Kollegen vom Kriminallabor des Landeskriminalamtes Niederösterreich zu verdanken haben, eine verdächtige Person in Gewahrsam genommen werden konnte. Natürlich ist aufgrund der Kurzfristigkeit dieser neuen Entwicklung noch längst nicht jeder Aspekt dieses Falles geklärt, obgleich ich nicht verhehlen möchte, dass die Beweislast doch einigermaßen …»
«Herr Inspektor!», gab nunmehr der unglaublich erleichterte, weil eben nicht verhaftete Heimeder Kurtl dem Verlangen Ausdruck, sein Glück mittels eines kleinen herausgerufenen Scherzchens mit der Allgemeinheit zu teilen. «Wenn Sie jetzt nicht bald sagen, wer es ist, werden es die Älteren unter uns nicht mehr erleben!»
Genau diese absolute Trittsicherheit bei der Wahl seiner Pointen, dieses Gefühl für Timing, gepaart mit einer augenzwinkernden Frechheit, ohne allerdings dabei ins Respektlose abzugleiten – das war es, was den Fans vom Kurtl so gefehlt hätte, wenn der Wimmer jetzt gerade seine Verhaftung verkündet hätte und nicht die
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