Voll im Bilde
leichter Wind, der ein wenig Abkühlung brachte. An den dunkler werdenden Hängen des Hügels erstrahlten nun Lichter. Holy Wood kam erst nachts zur Ruhe. Wenn man bei der Arbeit auf Tageslicht angewiesen ist, nutzt man es bis zum Letzten aus.
Eigentlich war es recht angenehm am Strand. Nur selten verirrte sich jemand hierher. Das Treibholz, brüchig und von Salz verkrustet, eignete sich nicht für den Bau von Hütten. Es bildete eine lange, weiße Linie entlang des Wassers.
Victor sammelte genug für ein Lagerfeuer, legte sich hin und betrachtete die Brandung.
Auf der nächsten Düne, verborgen hinter einem Büschel aus vertrocknetem Gras, lag der Wunderhund Gaspode und betrachtete nachdenklich den jungen Mann.
Zwei Stunden nach Mitternacht.
Es dehnte sich aus, glitt fröhlich über den Hügel und goß seinen Glanz in die Welt.
Holy Wood träumt…
Holy Wood träumt für alle.
Ginger Withel schlief in der heißen Dunkelheit einer Hütte. Sie träumte von roten Teppichen und jubelnden Massen. Und von einem Gitter. In ihrem Traum kehrte sie immer wieder zu einem Gitter zurück, durch das warme Luft wehte und ihren Rock aufplusterte…
In der nicht viel kühleren Dunkelheit einer nur etwas besser ausgestatteten Hütte schlief Silberfisch. Er träumte ebenfalls von jubelnden Mengen und jemandem, der ihm einen Preis für die besten jemals gedrehten beweglichen Bilder verlieh: eine große Statue.
Zwischen den Dünen hockten Rock und Moräne. Sie schliefen nicht, sondern dösten nur, denn Trolle sind von Natur aus nachtaktive Geschöpfe – das Schlafen in der Dunkelheit stand im krassen Gegensatz zu äonenalten Instinkten. Sie träumten von Bergen.
Am Strand, unter den Sternen, träumte Victor von stampfenden Hufen, wehenden Mänteln, Piratenschiffen, Fechtkämpfen und Kronleuchtern…
Auf der nächsten Düne schlief der Wunderhund Gaspode und hielt ein Auge geöffnet, während er von Wölfen träumte.
Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin Schnapper träumte nicht, weil er nicht schlief.
Es war ein langer Ritt nach Ankh-Morpork gewesen, und normalerweise zog er es vor, Pferde zu verkaufen, anstatt auf ihnen zu reiten, aber jetzt hatte er endlich die Stadt erreicht.
Jene Unwetter, die Holy Wood mieden, ließen Ankh-Morpork nicht aus: Es regnete in Strömen. Dadurch wurde das Nachtleben der Stadt nicht weniger lebendig, nur feuchter.
In Ankh-Morpork konnte man alles kaufen, selbst mitten in der Nacht. Schnapper brachte eine ziemlich lange Einkaufsliste mit. Plakate mußten gemalt werden, und er brauchte alle möglichen Sachen. Die meisten von ihnen hingen mit Ideen zusammen, die ihm unterwegs eingefallen waren, und er mußte sie nun ebenso behutsam wie schnell anderen Leuten erklären.
Der Regen bildete einen massiven Vorhang, als er schließlich ins graue Licht der Morgendämmerung wankte. Bäche flossen in den Rinnsteinen. Von den Dächern spuckten abscheuliche Steinfiguren zielsicher auf Passanten. Allerdings: Um fünf Uhr morgens waren auf den Straßen nicht mehr ganz so viele Leute unterwegs.
Schnapper atmete tief durch. Echte Luft. Man mußte lange suchen, um Luft zu finden, die echter war als jene in Ankh-Morpork. Wer sie atmete, wußte sofort, daß sie über Jahrtausende hinweg Myriaden von Lungen gefüllt hatte.
Zum erstenmal seit Tagen meinte Schnapper, klar zu denken. Das war seltsam an Holy Wood: Solange man sich im Bereich des Hügels aufhielt, hielt man alles für völlig normal. Aber wenn man aus einer gewissen Entfernung zurückblickte, zerplatzte alles wie eine hübsche Seifenblase. Sonderbar: Man konnte fast meinen, daß der Hügel Veränderungen hervorrief, daß die beweglichen Bilder Gewöhnliches in, nun, Ungewöhnliches verwandelten.
Nun, Holy Wood war Holy Wood, und Ankh-Morpork war Ankh-Morpork. Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin Schnapper zweifelte nicht daran, daß der allgemeine Lebensstil in Ankh-Morpork eine sichere Barriere darstellte, an der das Sonderbare von Holy Wood wirkungslos abprallte.
Er platschte durch die Pfützen und lauschte dem Regen.
Nach einer Weile offenbarte ihm das Klopfen der Regentropfen einen Rhythmus.
Komisch. Da hatte man sein ganzes Leben in einer Stadt verbracht und mußte sie erst verlassen, um nach der Rückkehr herauszufinden, daß die Tropfen in einem bestimmten Rhythmus von den Dachrinnen fielen: DUMdi-dum-dum, dumdi-dumdi-DUM-DUM…
Einige Minuten später traten Feldwebel Colon und Korporal Nobbs von der Nachtwache unter einen Torbogen, rauchten
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