Voll Speed: Roman (German Edition)
neulich etwas Komisches passiert …«
»Ja?«
»Was denn?«
»Erzähl’ doch mal!«
Herr, lass Hirn vom Himmel fallen!, denke ich und bin kurz davor, die ganze Sippe kurz und klein zu schreien, als etwas anderes vom Himmel fällt. Vielmehr: Es schwebt hernieder, elegant gleitend, zieht ein flüsterndes Rauschen hinter sich her, lässt einen länglichen Schatten durch das Gehege kreisen, stellt die Flügel an und landet punktgenau auf dem Dachfirst des Flamingohauses. Und es ist: ein Flamingo. Warum nicht?, mag jetzt der ein oder andere denken. Sind schließlich Vögel, geniale Segler, die Höhen erreichen bis zu … Wahnsinn, so hoch können die fliegen. Aber nicht die im Zoo! Die können nicht fliegen, gar nicht, nirgendwohin!
Ich springe von meinem Stein und renne um den Teich zum Haus hinüber. »Hey!«, rufe ich zum Dachfirst hinauf, wo der Flamingo steht, als hätten sie ihn festgenagelt.
Er verdreht seinen Hals zu etwas, das sehr kunstvoll aussehen könnte – wenn ich Muße hätte, es zu schätzen.
»Hallo, Ray, wie geht’s?«, fragt er.
»Bist du gerade ins Gehege geflogen?«, will ich wissen und werde umgehend für meine schlecht gestellte Frage bestraft.
»Weiß nicht«, entgegnet der Flamingo, »bin ich?«
»Ja!«, rufe ich. »Du bist gerade ins Gehege geflogen!«
Er zieht ein Bein ein: »Ich weiß nicht …«
»Aber ich weiß es! Und jetzt sag mir, wie du das gemacht hast!«
»Ich dachte, ich kann gar nicht fliegen.«
»Dachte ich auch.«
»Aber dann kann ich doch gar nicht ins Gehege geflogen sein.«
»Bist du aber!«
Gleich reiße ich mir die Eier ab. Ich schwöre es. Voll.
»Ich weiß nicht …«
Bevor ich versuche, meinen Kopf wie eine Walnuss an der Holzverschalung des Hauses aufzuschlagen, unternehme ich einen letzten Versuch: »Wie, glaubst du, bist du da raufgekommen?«
Der Flamingo sieht sich um, als begreife er erst jetzt, wo er sich befindet. »Weiß nicht.«
»Denk nach!«, brülle ich.
Der Flamingo wechselt das Standbein. »Ich bin geflogen?«
»Bravo!«
»Aber ich kann doch gar nicht fliegen.«
»Was schließen wir daraus?«
Er stochert eine Weile mit seinem Schnabel im Gefieder. Dann hat er die Antwort: »Ich bin gar nicht hier oben?«
Jetzt tue ich es: Schlage mit dem Kopf gegen die Holzverschalung. Lieber eine Gehirnerschütterung als keine Eier mehr.
»Komm runter!«, befehle ich.
»Aber ich kann doch nicht …«
»Komm auf der Stelle runter!!!«
Zögerlich streckt der Flamingo sein zweites Bein vor, verlagert langsam sein Gewicht, als erwarte er, von der Luft getragen zu werden, dann kippt sein Oberkörper über die Kante, seine Flügel rühren hilflos in der Luft, sein Hals verbiegt sich zu etwas sehr Unschönem, und er klatscht zu meinen Füßen auf den Rasen. Seine spirelligen Beine ragen in die Luft wie zwei Pfeile, die ihm jemand in den Hintern geschossen hat. Wie um alles in der Welt kann man nur so blöd sein?
Mühsam zwirbelt er den Knoten aus seinem Hals und sieht mich an: »Ich hab doch gesagt, ich kann nicht fliegen.«
Ich habe bereits einmal versucht, mich umzubringen. Hat nicht funktioniert, damals. Im Sommer. Lange Geschichte. Rufus meint, es hätte wahrscheinlich daran gelegen, dass Tiere – mit Ausnahme von Skorpionen – keinen Selbstmord begehen können. Es sei uns nicht gegeben. Wir können beschließen, kein Essen mehr zu uns zu nehmen, aber nicht, uns aktiv zu töten. Hm. Muss nicht stimmen. Rufus hat nicht immer recht. Ich könnte es wieder versuchen. Vielleicht, so denke ich, habe ich diesmal mehr Glück. Auf jeden Fall habe ich null Bock zu warten, bis ich verhungert bin. Dauert mir eindeutig zu lange.
Das sind so die Sachen, die mir durch den Kopf gehen, als eine Stimme mich erlöst. »Ich dachte, im Zoo lebende Flamingos können nicht fliegen.«
Die Stimme meines Partners. Danke, Herr!
Ich drehe mich um: »Tu mir einen Gefallen, Phil: Sag mir, dass du gekommen bist, um mich hier rauszuholen.«
Mein Partner lässt mich ganz schön lange schmoren: Er blickt sich im Zoo um, betrachtet den Flamingo, der auf einem Giebel landen kann, aber zu blöd ist, von dort herunterzukommen, und der sich jetzt beleidigt und humpelnd in den hinteren Winkel des Geheges zurückzieht, checkt sein Handy auf Nachrichten, obwohl er weiß, dass keine drauf sind. Ich habe den Verdacht, Phil findet langsam Gefallen daran, mich auf die Folter zu spannen. Bin nicht sicher, ob mir das schmeckt.
»Ernie hat angerufen«, rückt er schließlich
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