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Voll Speed: Roman (German Edition)

Voll Speed: Roman (German Edition)

Titel: Voll Speed: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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Phils Stimme erkenne ich, dass er sich an einem Lächeln versucht. Ist nicht seine Paradedisziplin: »Ich merke schon – Ihnen kann man nichts vormachen«, sagt er.
    Schleimer.
    Bönsch wischt und schweigt.
    »Um ganz ehrlich zu sein: Ich bin vom ›Tagesspiegel‹.«
    Bönsch schweigt und wischt. Natürlich weiß er spätestens jetzt, dass es um Boris Kaufmann geht. Was ihn allerdings kein Stück gesprächiger macht.
    »Es geht um diesen Mann, der vor ein paar Tagen vorne an der Ecke in den Kanalschacht gestürzt ist«, fährt Phil fort, »Boris Kaufmann. Es heißt, er habe in den letzten Wochen viel Zeit an Ihrem Tresen verbracht.«
    Bönsch lässt sich dazu hinreißen, doch noch etwas zu sagen: »Die Leute reden viel und wissen wenig.«
    »Laut Obduktionsbericht hatte Kaufmann zum Todeszeitpunkt etwa zwei Komma fünf Promille Alkohol im Blut.«
    Lautlos zieht der Lappen seine Kreise …
    »Ich hatte gehofft, Sie könnten mir vielleicht etwas dazu sagen. Kriegt man ja mit – wenn sich ein Stammgast zweieinhalb Promille antrinkt. Können Sie sich erinnern, ob er an dem Abend hier war? Und ob er wirklich so betrunken war, als er ging?«
    Bönschs Mine verfinstert sich. Er hält seinen geliebten Lappen am ausgestreckten Arm über die Spüle und lässt ihn hineinfallen. Anschließend verschränkt er die Arme vor der Brust. Auf seinen Unterarmen kommen ebenfalls Tattoos zum Vorschein. »Wie soll der Mann geheißen haben?«
    »Boris. Boris Kaufmann.«
    »Boris Kaufmann …« Der Wirt kratzt sich am Kopf. Danach steht ihm ein Strunk silberner Haare zu Berge. »Nie gehört.«
    »Verstehe.« Phil trinkt sein Mineralwasser aus. »Was dagegen, wenn ich mich mal unter Ihren Gästen umhöre? Vielleicht kann sich ja einer von denen erinnern.«
    Bönsch stützt sich mit ausgestreckten Armen auf seiner Theke ab. Irgendwo knackt Holz. »Nu werd ich ma ganz ehrlich zu Ihnen sein: Ihr Fuzzis von der Presse seid das Schlimmste, was in dieser Stadt rumlooft. Da is mir jeder Junkie noch lieber. Nich genug damit, jemanden uff’n Boden liegen zu sehen. Nee, da wird immer noch mal schön nachgetreten. Ekelhaft is das.« Bönsch unterstreicht das Gesagte mit einem Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. »Also: Ich hab den Namen Boris Kaufmann noch nie gehört, und von meinen Gästen kennt den ooch keiner. Und da« – mit seinem Kinn deutet der Wirt zum Eingang hinüber – »hat der Maurer das Loch gelassen.«
    Phil will etwas erwidern, doch Bönsch wendet sich bereits ab und kommt ihm zuvor: »Wasser geht aufs Haus.«

    Wir sitzen in Phils Wagen und starren auf den Savignyplatz. Regen nieselt auf die Scheibe. Blätter trudeln von den Bäumen. Auf der Straße, die den Platz teilt, hält ein Doppelstock-Bus und spuckt eine Handvoll Menschen aus, die ihre Köpfe einziehen und davonhasten. Mein Partner hat die Hand am Zündschlüssel, zögert aber, den Wagen zu starten. Schließlich lässt er den Schlüssel los und lehnt sich zurück.
    »Sag mir, wenn ich falschliege«, überlege ich laut, »aber die Befragung von Kalle Bönsch war jetzt nicht gerade der totale Bringer, oder?«
    »Krallen weg vom Fensterheber«, erwidert Phil. Und tatsächlich: Da hat sich doch meine Klaue schon wieder heimlich an den schwarzen Schalter herangetastet.
    Je mehr Regen sich auf der Scheibe sammelt, desto verschwommener wird Phils Blick.
    »Ich fürchte, wir haben uns da in was verrannt«, sagt er irgendwann.
    »Du glaubst, es war doch ein Unfall?«
    »Schätze, wir sollten es machen wie Ernie.«
    »Den Fall zu den Akten legen«, schließe ich.
    Phil nickt. »Morgen ist Boris’ Beerdigung. Da werde ich ihm die letzte Ehre erweisen. Und dann den Fall vergessen – so gut es geht.«
    Wie in Zeitraffer gealtert, beugt er sich vor, greift nach dem Zündschlüssel und lässt den Wagen an.
    Dieses ›so gut es geht‹ macht mich nachdenklich. Es sagt mir, was ich ohnehin schon weiß: Dass es nicht einfach werden wird für meinen Partner, diesen Fall zu den Akten zu legen, Boris zu vergessen, seinen Ex-Partner und Freund. Vielleicht gelingt es ihm nie, und das Bild von Boris’ aufgequollenem, blauschimmlig schimmerndem Kloakengesicht wird Phil bis ans Ende seiner Tage verfolgen.
    »Soll ich mitkommen?«, frage ich.
    Phil ist noch immer völlig in Gedanken. Er weiß es wirklich nicht. »Wohin?«
    »Auf die Beerdigung?«
    Er setzt den Wagen zurück und verursacht nur deshalb keinen Unfall, weil der um die Ecke biegende SUV eine Vollbremsung macht

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