Voll Speed: Roman (German Edition)
Lösung«.
Natalie muss mit einer neuen Erfahrung klarkommen: dass es wirklich ein Erdmännchen gibt, das sich nicht bei der erstbesten Gelegenheit mit ihr paaren will. »Bist du irgendwie … schwul oder so?«, fragt sie. Eine andere Erklärung will ihr nicht einfallen.
Ich gebe zu: Der Gedanke kommt mir auch gerade.
»Ich bin nicht homosexuell veranlagt«, erwidert Rufus, »aber ich bin auch kein Tennisball, der immer zu dir zurückkommt, egal wie oft du ihn gegen die Wand wirfst.«
Mit diesen Worten wirft mir Rufus seine Leuchte zu und verlässt allen Ernstes den Raum. Darüber, du Blindgänger, denke ich, wird noch zu reden sein. Ich hebe die Leuchte vom Boden auf und erlaube mir einen besinnlichen Moment der Verwunderung angesichts der verschlungenen Wege des Schicksals. Anschließend versuche ich, mich auf meine Aufgaben als Ermittler rückzubesinnen.
»Natalie«, sage ich, »mach mal’n Sittich.«
Und schon ist sie aus dem Raum gestöckelt.
Einmal noch schüttele ich weise und altklug den Kopf, dann ziehe ich eine Kaffeedose zu Nemo in die Ecke, setze mich drauf und stütze die Ellenbogen auf den Oberschenkeln ab. Nemo sieht mich, an als erwarte er den nächsten Schlag mit der Flasche.
»Jetzt zu uns«, sage ich.
Ich mache es kurz: Nemo hat keine brauchbaren Informationen für mich. Klar hat er Traubenzucker gebunkert, aber das machen ja wohl alle, also was soll’s. Ja, Nick und er haben Musik gehört – die neue Jay-Z, die aber nicht so gut ist wie die alten Sachen, bla, bla, bla. Nee, Drogen waren keine im Spiel. Anschließend sind sie rüber zum Vierwaldstätter See, wo samstags immer die »Happenings abgehen«. Bis Nick dann plötzlich total durchgedreht ist.
»Happenings?«, hake ich ein.
»Na, wir hängen dann da halt so ab.«
»Am Vierwaldstätter See?«
»Jepp.«
»Und wer ist ›wir‹?«
Nemo setzt sich auf: »Also Noomi, Nick, Nino, Nadja, Natalie …«
»Schon gut«, unterbreche ich ihn. Der komplette vierte Wurf. Selbsterklärend. »Mal was anderes: Wie kommt ihr überhaupt da rüber – zum Vierwaldstätter See?«
»Na, durch den Geheimgang.«
Der Geheimgang. Wie geheim der noch ist, wenn der komplette vierte Wurf davon weiß, kann ich mir an einer Kralle abzählen. Ich seufze. Da sind sie wieder: meine Kopfschmerzen.
»Oder gibt’s noch einen anderen Weg?«, fragt Nemo.
Wenn der so weitermacht, ziehe ich ihm die Flasche gleich noch einmal über den Schädel. »Und sind da außer euch noch andere Tiere?«, will ich wissen.
»Na, die Flamingos. Ist ja schließlich ihr Teich.«
Die Flamingos also. Auf die Befragung freue ich mich ja schon wie verrückt. Weisheit und Mitgefühl, sagt der große, weise und mitfühlende … wie auch immer dieser Fritze heißt. Nicht immer einfach.
»Letzte Frage: Woher wisst ihr eigentlich, wann Samstag ist?«
»Na, da gehen doch immer die Happenings ab …«
Ich überlasse Rufus, Natalie, Nemo und den Rest meines debilen Clans einander und krieche, das Gewicht meiner märtyrerhaften Tragik wie einen Mühlstein hinter mir herziehend, durch den nicht länger geheimen Geheimgang zu den Flamingos hinüber. Glücklicherweise sind so früh kaum Besucher unterwegs, weshalb ich einfach auf den Begrenzungsstein steige und die Vorderbeine hebe. Bereits hier dämmert mir, dass bei meiner Befragung nicht viel herauskommen wird. Um einem Flamingo eine halbwegs brauchbare Information zu entlocken, bedarf es seeeeeehr viel mehr Langmut, als ich im Moment aufbringen kann.
»Alle mal herhören!«
Nach und nach verstummt das Gemurmel. Dann sagt einer der Flamingos: »Hey, Ray.«
Und schon kommt es aus sämtlichen Ecken des weitläufigen Geheges: »Hallo, Ray!«
»Grüß dich!«
»Huhu!«
»Ach, du bist’s!«
»Seid mal kurz ruhig!«, flehe ich.
»Was ist denn los?«
»Warum so unfreundlich, Ray?«
»Kannst du nicht ›Bitte‹ sagen?«
»Schnauze!«, brülle ich. »Bitte!«
»Geht doch«, kommt es vom Teich, und von der hinteren Wiese: »Na also.«
Wäre ich jetzt Rufus, würde ich mir so was von auf die Ohren hauen. Bin ich aber nicht. Ich bin ich. Und deshalb kraule ich mir die Eier. Sofort kommt eine Stimme vom Flamingohaus: »Was machst’n da, Ray?«
Weisheit und Mitgefühl, denke ich. Weisheit und Mitgefühl. Mitgefühl, Mitgefühl, Mitgefühl … »Hört mir bitte bitte einen Moment zu und unterbrecht mich nicht dauernd.«
Stille.
Na bitte.
»Wie einige von euch vielleicht mitbekommen haben, ist einem meiner Brüder hier
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