Voll Speed: Roman (German Edition)
Rufus. »Kannst du vielleicht auch mal was zur Diskussion beitragen?«
Er reagiert nicht. Erst jetzt erkenne ich, dass er sich wieder in einem Schockzustand befindet. Sein Blick geht in die Ferne und wirkt seltsam leer.
»Rufus, verdammt!«, herrsche ich ihn an. »Nicht schon wieder!«
»Was?« Binnen eines Lidschlags ist er zurück im Hier und Jetzt.
Leise sage ich: »Die Augenklappe will Rocky umlegen und fragt, ob wir einen Vorschlag haben, um die Situation zu entschärfen. Hast du vielleicht eine Idee?«
Rufus muss nicht lange überlegen. »Na, was schon? Bedingungslose Kapitulation«, sagt er mit fester Stimme.
Der Rattenboss merkt auf. »Was hat du da gesagt?«
»Wir kapitulieren bedingungslos«, wiederholt Rufus laut. Und leise fügt er an mich gewandt hinzu: »Ich setze da auch auf Rockys Kombattantenstatus gemäß der Genfer Konvention.«
Verständnislos starre ich meinen genialen Bruder an.
»Die dürfen ihn nicht töten«, versichert Rufus. »Er ist nämlich ein Kriegsgefangener.«
Bevor ich meinem Bruder erklären kann, dass die Ratten dieser Welt die Genfer Konvention überhaupt nicht unterschrieben haben, meldet sich der Capo zu Wort. »Alle Achtung! Du bist ja wirklich ein cleveres Kerlchen. Genau das wollte ich von euch hören.«
»Woher hast du das gewusst?«, flüstere ich.
Rufus zuckt mit den Schultern. »Intuition?«
»Also gut.« Der Capo rückt seinen alten und geschundenen Leib auf dem Pantoffel zurecht. »Hier sind die Regeln für das künftige, friedliche Zusammenleben von Ratten und Erdmännchen. Erstens: Die Kanalisation gehört uns. Und zwar komplett. Kein Erdmännchen hat ab sofort noch irgendetwas hier unten verloren.«
»Akzeptiert«, sagt Rufus und scheint langsam Geschmack an seiner Rolle als selbsternannter Offizier und Gentleman zu finden.
»Zweitens«, fährt der Rattenboss fort. »Unsere Drogenkuriere werden im Zoo nicht mehr behelligt. Haltet euch einfach aus unseren Geschäften raus. Ist das klar?«
Wir nicken pflichtschuldig.
»Okay. Deine Leute haben freies Geleit«, verkündet Rufus förmlich.
»Er ist immer noch der Rattenboss«, flüstere ich. »Wir müssen ihm also nicht gleich in den Arsch kriechen.«
»Doch«, flüstert Rufus zurück. »Wenn wir Rocky lebend wiederhaben wollen, dann müssen wir das.«
»Ich brauche nicht zu erwähnen, dass euer Boot und der Elektroschocker hierbleiben, oder?« Er hustet.
Pflichtschuldig schütteln wir die Köpfe.
»Gut. Wir möchten nämlich keine weiteren bösen Überraschungen mit einem wildgewordenen Erdmännnchenchef erleben.«
»Clanchef«, korrigiert Rufus.
»Wie auch immer«, entgegnet der Alte und schaut zum Katapult. »Womit wir dann beim eigentlichen Thema wären.« Er wendet sich wieder uns zu und macht eine lange Pause. »Natürlich drittens: Ihr könnt euren Bruder mitnehmen.«
Wir atmen auf.
»Ich hoffe, dass euch dieser Tag eine Lehre sein wird.« Er grinst windschief. »Tut in Zukunft einfach, was ihr am besten könnt: Steht rum und seht niedlich aus! Einerseits mögen das die Zoobesucher, und andererseits kommen wir uns dann auch nicht mehr in die Quere.«
Ich will erwidern, dass Großmaul Augenklappe sich nicht noch weiter aus dem Pantoffel lehnen sollte, spüre aber, dass Rufus mir eine Kralle in die Seite drückt.
»Danke für den Ratschlag«, sagt Rufus artig.
»Lasst den Kerl frei!«, ruft der Capo.
Augenblicklich beginnt ein halbes Dutzend Ratten damit, Rocky vom Katapult zu holen.
»Ähm, könntet ihr ihn vielleicht gefesselt und geknebelt lassen?«, fragt Rufus. »Auf dem Rückweg kann er sich dann ein bisschen beruhigen.«
Wie sich wenig später zeigt, beruhigt Rocky sich nicht die Bohne. Während Rufus und ich die Plastikente durch die Kanalisation navigieren, bringt unser Bruder in einem fort dumpfe Laute hervor. Wir müssen ihm nicht mal den Knebel entfernen, um zu wissen, was er von uns will.
Erst, als der Hafen in Sichtweite ist, befreie ich Rocky von dem Lappen in seinem Maul.
»Sofort umkehren!«, brüllt er. »Wir lassen uns das nicht gefallen!«
»Entspann dich«, erwidere ich.
»Umkehren!«, brüllt Rocky und versucht, sich mit ruckartigen Bewegungen von seinen Fesseln zu befreien. Doch dann verstummt er, weil plötzlich in der Ferne ein dumpfes Surren zu hören ist. »Was’n das?«
Wir horchen.
»Ich würde sagen, das ist der Sound unseres Speedbootes«, erwidert Rufus traurig. »Vermutlich will der Rattenkönig sein Versprechen wahrmachen.«
Wieder lauschen
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