Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
Pass. Und für mich sind alle Schüler meiner Klasse deutsch, sie leben schließlich hier. Aber machen wir hier ruhig mal die Unterscheidung zwischen solchen und solchen. Ich würde aber lieber sagen: Schülern mit und Schülern ohne Migrationshintergrund. Das trifft die Sache eher. In meiner Klasse haben Christine, Ronnie, Peter und Sven einen Schonimmerhiergewesen-Hintergrund. Werden sie von den anderen deshalb abgelehnt? Auf keinen Fall. Wie denn auch? Alle vier sind doch ganz unterschiedliche Menschen.
Peter ist recht schüchtern und versucht, nicht weiter aufzufallen. Er hatte noch nie Stress mit einem anderen Schüler. Sven ist gut in Mathe und hilft seinen Mitschülern gerne bei den Hausaufgaben. Ronnie ist stressig und eckt deshalb schon öfter mal an. Weil er deutsch ist? Nein, weil er stresst.
Na, Frau Freitag, das klingt ja, als hätten Sie an Ihrer Schule und in Ihrer Klasse eine schöne heile Welt und als sei Ihnen die ganze Debatte, die da im Fernsehen rauf- und runtergenudelt wird, völlig fremd. Leider kann ich dem aber auch nicht aus vollem Herzen zustimmen. Wenn ich über den Hof gehe, dann fallen mir natürlich die verschiedenen Schülergruppen auf. Klar sind da einzelne »türkische«, »arabische« und »deutsche« Schüler miteinander befreundet, aber es gibt auch einige Gruppen, die ganz »unter sich« bleiben. Woran das liegt? Keine Ahnung.
Vielleicht sind die Lebenswelten außerhalb der Schule zu unterschiedlich. Obwohl … eigentlich sind sie das gar nicht. Sie haben doch zum Beispiel alle einen ganz ähnlichen sozioökonomischen Hintergrund.
Ich glaube einfach, dass es zu viele Schüler von »der einen Gruppe« – also mit Migrationserfahrung – gibt. Das tut der Integration nicht besonders gut. Die Mehrheit unserer Schüler ist muslimisch und muss sich überhaupt nicht mit irgendeiner anderen Lebensweise oder Kultur auseinandersetzen, wenn sie nicht will. Wäre die Quote fifty-fifty, wäre das sicher anders.
Ich will gar nicht sagen, dass es für »deutsche« Schüler an unseren Schulen mitunter nicht auch sehr anstrengend sein kann, weil man ja permanent zu einer Minderheit gehört, aber was ist mit Schülern wie Salma – Mutter deutsch, Vater Pakistani, beste Freundinnen: Christine, Funda (Mutter Russin, Vater Türke) und Elif (deutscher Pass, Eltern Türken)? Wie passen die in unsere kuscheligen Vorurteile?
Wenn wir in meiner Klasse über DEUTSCHSEIN und DEUTSCHE sprechen, dann haben meine Schüler genauso viele Klischees im Kopf wie die Gäste in den Talkshows, wenn es um Muslime geht. Ich würde mir einfach wünschen, wir würden diese Debatte etwas entspannter führen, denn man tut den einzelnen Schülern keinen Gefallen, wenn man sie immer in irgendwelche Schubladen schmeißt, in die sie eigentlich gar nicht gehören.
Ich hoffe, dass ich in spätestens zwanzig Jahren den Kindern von Abdul, Samira, Christine und Ronnie im Unterricht sagen kann: »Und dann gab es mal so was, das nannte sich Deutschenfeindlichkeit.« Und die Schüler gucken mich ungläubig an: »Äh, was soll denn das gewesen sein? Waren denn damals nicht alle Deutsche so wie heute?«
In der Pause stürzt sich Samira in meine Arme und verspricht mir, in ihrer neuen Klasse gut mitzuarbeiten. Ich habe ihr das Buch Arabboy geliehen. Vorher hatte es Elif. Disko-Islam Elif, die immer alles »voll schön« findet. »Heidepark war voooll schön!« – »Frühstücken, Frau Freitag, war voll schön.« – »Wir waren in den Ferien Türkei, voll schön.« Dann gab sie mir das Buch über diesen brutalen, kriminellen, vergewaltigenden Typen zurück mit den Worten: »Frau Freitag, das Buch … voll schön.«
»Aber Elif, der Typ ist doch schrecklich.«
In der Hoffnung auf eine etwas differenziertere Meinung, lieh ich das Buch Samira.
»Samira, bitte lies das mal, und dann sag mir, dass nicht alle arabischen Jungs so bescheuert sind wie der und dass nicht alle Araber so schlecht von uns Deutschen denken!«
Ihr Kommentar zu den ersten Seiten: »Na ja, stimmt so halb. Aber nicht alle dürfen nicht raus. Ich darf nach der Schule immer raus.«
»Wahrscheinlich, weil du so stressig bist. Die lieben Mädchen, die immer ruhig sind und mithelfen, die müssen drinbleiben. Aber so Nervtöter wie du, da ist man froh, wenn die rausgehen.« Sie grinst und nickt. Wieder mit einem Vorurteil aufgeräumt.
»Und diese schlechte Meinung über die Deutschen. Gibt’s die wirklich?«
»Vielleicht. Aber bestimmt nicht hier bei uns in
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