Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
Deutschland.«
Hol dir was auf die Hand
Ich komme gerade vom Sport mit meiner anderen Lehrerfreundin Frau Dienstag. Hungrig wie ein Bär, nutze ich die modernen Medien – ich habe ja seit diesem Sommer auch ein Handy – und rufe den Freund an. Ich will ihn fragen, ob er schon für meine Verpflegung gesorgt hat. Hatte er versprochen, da die Schule ja wieder angefangen hat und ich wieder » hardest working woman in show business « bin, wie er immer sagt. Er sagt, er wolle gerade einkaufen gehen und wir könnten uns unten treffen.
Ich warte vor dem Laden – dem teuren – und warte und warte, und er kommt nicht, dann denke ich, na, ich kann ja schon mal anfangen mit dem Einkaufen. Es soll einen griechischen Salat geben – Scheiße, ich habe solchen Hunger –, jedenfalls kaufe ich alles ein und stelle mich dann wieder vor den Laden, um ihn abzufangen. Er kommt nicht, ich warte, er kommt nicht. Die Tüten und die Sporttasche sind schwer. Trotzdem kommt er nicht. Ich rufe ihn mit meinem Handy zu Hause an – vielleicht ist er noch gar nicht losgegangen. Auf seinem Handy kann ich nicht anrufen, er hat keins.
Aber dann kommt SIE mit IHM aus dem Laden. SIE: langer Mantel in so Naturfarbe, lange, stressig aussehende rote Locken. Zerbrechlich, hypersensibel, zart – so wirkt sie. In der Hand hat sie irgendein Essen, zum Mitnehmen. In einer Plastikschale mit Alufolie drüber.
Also SIE sieht nicht nach easy going aus.
ER: schlumpfige Jacke, praktisch, so gegen Kälte, die Haare halblang, leicht ergraut. Die sind beide Anfang vierzig, würde ich sagen. Sie kommen also zusammen aus dem Laden, und plötzlich knallt sie ihr Essen auf den Boden, alles spritzt durch die Gegend, und dann fängt sie an zu schreien: »DU HAST GESAGT, ICH SOLL MIR WAS AUF DIE HAND HOLEN, UND DANN HABE ICH DAS GEMACHT, UND JETZT KANN ICH DAS NICHT ESSEN!«
Auf die Hand – wie ich diesen Ausdruck hasse … man hält doch nicht die Hand hin und bekommt sein Essen drauf. Egal.
Jedenfalls ist IHM das wohl sehr peinlich, und er nuschelt was zu ihr rüber.
SIE daraufhin, noch lauter: »WAS HEISST HIER, ICH SOLL MICH NICHT SO AUFFÜHREN. DU WEISST GANZ GENAU, DASS ICH NICHT IM GEHEN ESSEN KANN … ICH KOMME EXTRA MIT DEM TAXI. DU HAST GESAGT: HOL DIR WAS AUF DIE HAND, UND DANN HAST DU MICH DORT ALLEIN GELASSEN. WIE KONNTEST DU MICH DA ALLEIN LASSEN? DU HAST DOCH GESAGT: HOL DIR WAS AUF DIE HAND. DU WEISST GENAU, DASS ICH IN DEM RESTAURANT NICHT ESSEN KANN, DAS HABE ICH LETZTES MAL ALLES ERBROCHEN.«
Er weicht einige Schritte zurück. Ich bleib dran. Tue so, als wartete ich auf jemanden. Ich versichere mir innerlich, dass ich meinen Freund nicht anmache, dass er sich verspätet hat. Liebesschwüre werde ich ihm zur Begrüßung entgegensäuseln.
SIE schreit immer noch rum. Und ER? ER reagiert gar nicht.
SIE: »JETZT SAG DOCH MAL WAS! NIE REAGIERST DU, DAS IST SO TYPISCH. DU HAST GESAGT, DANN HOL DIR WAS AUF DIE HAND …«
So ganz verstehe ich eigentlich nicht, warum sie so sauer ist. Aber jetzt wird sie richtig sauer: »DANN FAHRE ICH EBEN INS HOTEL ZURÜCK! DANN NEHME ICH MIR JETZT EIN TAXI!«
Er reagiert irgendwie immer noch nicht. Ist vielleicht Nicht-Reagieren auch eine Reaktion?
Plötzlich dackelt sie ab. Ich setze mich auch in Bewegung, damit ich mit ihr zusammen an der Ampel stehen kann. Ich habe das dringende Bedürfnis, sie zu fragen, warum sie ihr Essen weggeschmissen hat, was es war, was sie jetzt essen wird und vielleicht sogar, warum sie so sauer ist. Aber sie weint vor Wut, und ich schleppe mich nach Hause.
Dann kommt der Freund in die Wohnung. Der soll mir was Essbares machen. Wir haben übrigens alles doppelt, weil er in einem anderen Laden war, nun ja, lieber doppelt als nichts oder irgendwas AUF DIE HAND.
Können wir den nicht auf Deutsch gucken?
Erste Englischstunde nach den Herbstferien. Ich zeige einen Film. Ronnie: »Dreckskacke, ich verstehe gar nichts. Können wir den nicht auf Deutsch gucken?«
Didaktisch auf der Höhe der Zeit, lasse ich mich nicht erweichen und zeige den Film gnadenlos auf Englisch, mit englischen Untertiteln. Effekt: Drei Schüler scheinen einzelne Wörter zu verstehen, ein paar andere fangen an zu quatschen, und der Rest liegt mit dem Kopf auf dem Tisch und wacht immer nur kurz auf, wenn ich beziehungsweise Marcella einzelne Szenen auf Deutsch nacherzählen. Aber irgendwie wirken sie doch ganz interessiert. Gegen Ende der Stunde sind sie voll drin. Es entspinnt sich eine herrliche Diskussion,
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