Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
Hurensohn, und ich sage nur Wichser …«
»Schantalle«, rufe ich. »Könntest du das bitte lassen?«
»Waaas denn?«, fragt sie mit nasaler Arroganz.
»Ich möchte nicht, dass du hier im Unterricht so redest.«
»Wieso? Was denn?«
Okay, sie hat es so gewollt. Also sage ich sehr laut und äußerst bestimmt: »Ich möchte nicht, dass du hier Hurensohn und Wichser sagst. Diese Sprache gehört nicht in den Unterricht. So kannst du auf der Straße sprechen. NICHT HIER!«
Erst mal ist sie leise.
Am Ende der Stunde sage ich den Schülern: »Guckt euch das Handout auf jeden Fall noch mal an! Ist wichtig!« Sofort beugt sich Schantalle über den Tisch und flüstert: »Is wichtig. Is voll wichtig!«
Das reicht! Als alle rausgehen, sage ich: »Schantalle, du bleibst bitte noch mal kurz hier.«
Sie guckt ein bisschen verunsichert, stellt sich dann aber in genervter Haltung neben meinen Schreibtisch – den Kopf leicht schräg, die Augen rollend, so dass man fast nur noch das Weiße sieht, und die Arme hat sie vor der Brust verschränkt. Ihre blöde Handtasche baumelt von ihrem Ellenbogen.
Ich lege los.
»Was soll das? Warum kommentierst du alles, was ich sage?«
»Mach ich doch gar nicht.«
»Natürlich machst du das. Du machst mich nach. Eben doch auch wieder. Was soll das? Willst du mich provozieren? Willst du dich mit mir anlegen? Habe ich dir irgendwas getan?«
Beleidigt sagt sie: »Sie schreien mich ja an. Sie blamieren mich vor der ganzen Klasse.«
»Das tust du schon selbst. Vorhin, mit deiner Ausdrucksweise.«
»Das habe ich ja nicht zu Ihnen gesagt.«
»Na, das wäre ja wohl noch die Höhe gewesen.«
»Kann ich jetzt geeehen?« Schantalle hat diese grauenhafte Art drauf, einzelne Wörter besonders genervt gedehnt zu sprechen. Machen viele Mädchen bei uns. Finden sie cool.
»Ja, kannst du.«
Genervt wische ich die Tafel und lasse ihr noch ein paar Minuten Vorsprung. Ich will ihr auf keinen Fall noch auf der Straße begegnen. Das Gespräch war irgendwie total für’n Arsch. Besser habe ich mich jedenfalls nicht gefühlt. Aber dann treffe ich im Bus einen ehemaligen Schüler, wir quatschen herrlich miteinander und verabschieden uns überschwänglich. Und plötzlich ist das Leben wieder schön.
Üfff ya abo tschüch
Schock am Nachmittag. Ich blättere zu Hause in meinen Unterlagen und stelle fest, dass die Schüler am nächsten Tag eine halbe Stunde früher als sonst in der Schule sein müssen, weil wir ein Bewerbungstraining für sie veranstalten. Dieser verfrühte Anfang ist meinem Gehirn total entschwunden. Mist. Zum Glück gibt es Facebook. Ich poste in meinem Lehrerprofil, dass die Schüler meiner Klasse früher kommen sollen. Dann bekommt jeder Einzelne von ihnen noch eine extra Nachricht von mir geschickt. Mit voll dem peinlichen Rechtschreibfehler. Alle, die die Nachricht gelesen haben, kommentieren den Fehler: »Hahahah Frau freitag litte bringt einen Stift mit hahahaha«.
Erst dachte ich, litte ist neuer Facebook-Slang, bis ich merke, dass ich mich bei dem Wort Bitte verschrieben habe. Egal.
Zehn Schüler meiner Klasse erreiche ich also übers Internet. Einigen von ihnen gebe ich den Auftrag, andere Mitschüler anzurufen. Dann setze ich mich ans Telefon.
Jetzt beginnt das Unausweichliche:
»Diese Nummer ist nicht vergeben.«
»Nein, ich bin nicht die Mutter von Peter. Nein, ich heiße wirklich nicht Müller.«
»Aber Sie haben die Nummer 497 …«
»Ja, schon seit sechs Jahren.«
»Komisch, ich habe doch Peters Mutter schon unter dieser Nummer angerufen. Und Sie sind sicher, wenn Sie sich zu Hause umgucken, dass Sie da keinen Sohn haben, der Peter heißt?«
»Vollkommen sicher.«
»Okay, tja, da kann man wohl nichts machen. Ich wünsche Ihnen trotzdem einen schönen Abend.«
Ich spreche auf einige Anrufbeantworter und mit ein paar Geschwistern. Wenn einem am Telefon jemand mit perfektem Deutsch begegnet, dann sind das die Geschwister. Mit einigen Eltern spreche ich auch, aber nur so lange, bis ich ihnen verständlich gemacht habe, dass ich die Lehrerin bin. Dann lasse ich mich mit ihren Kindern verbinden, um den komplizierten Sachverhalt der vorgezogenen Anfangszeit zu übermitteln.
Dann öffne ich wieder Facebook und drohe jedem an, gleich zu Hause anzurufen, wenn sie mir nicht bestätigen, dass sie meine Nachricht gelesen und verstanden haben. Jeder meiner Schüler, der online ist, wird von mir angechattet. »Elif, was geht? Alles klaro mit morgen? Pünktlich, mit Stift,
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