Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
meinem Zeugnis sind.«
Elda: »Mich haben sie nur auf die Verspätungen angesprochen.«
»Aha. Und zu den unentschuldigten Fehlstunden haben sie nichts gesagt, Elda?«
Elda guckt mich seelenruhig an: »Nö.«
»Und Marcella, was hast du gesagt?«
»Dass ich oft die Entschuldigungen nicht abgegeben habe und dass ich geschwänzt habe und dass ich selber weiß, dass das nicht gut war.«
»Ja. Sehr gut. Und du wurdest von den Leuten auch für deine Ehrlichkeit gelobt. Weil du keine anderen für deine Fehler verantwortlich gemacht hast.«
Dann an alle: »Was glaubt ihr denn, was so ein Chef denkt, wenn ihr für eure Schwänzerei andere Leute verantwortlich macht? Dann denkt der doch, dass ihr keine Verantwortung für euer Handeln übernehmt. So wie Elda, die gestern gesagt hat, dass die unentschuldigten Stunden nicht ihre Schuld seien, sondern dass ICH die Entschuldigungen verschlampt hätte. Elda, das war eine Unverschämtheit. Und jetzt hier zu sagen, die hätten dich gestern gar nicht drauf angesprochen – U-n-v-e-r-s-c-h-ä-m-t!«
Die Message kam an. Alle glotzen zu Elda. Elda sagt nichts mehr. Wortlos überreicht sie mir nach der Stunde noch den Zettel, dass ihre Mutter nächste Woche zum Elternsprechtag erscheinen wird.
Eine Woche später ist Elternsprechtag. Wie ich den liebe. Die Schüler, die wissen, dass ich am Abend ihren Eltern gegenübersitzen werde, sind an dem Tag immer ganz lieb und demütig. Elda und Funda kamen diesmal sogar in der Mittagspause zum Lehrerzimmer. Ich saß gerade über einem Teller nicht ganz so leckerer Nudeln.
»Frau Freitag, können wir noch mal mit Ihnen reden? Wegen heute Abend und so?«
Jetzt wurden noch mal alle Register gezogen. Funda bemühte sogar noch eine kranke Großmutter, wegen der ihre Eltern gerade große Sorgen hätten. Elda kam wieder mit der türkischen Hochzeit. Ich dachte nur an meine Nudeln.
»Passt mal auf, ihr Lieben, lasst uns einfach heute Abend darüber sprechen. Und jetzt geht mal nach Hause.«
Dann beginnt der Elternsprechtag. I love it! Ich stelle immer ein paar Stühle für die Wartenden vor die Tür, und wenn ich kurz rausgehe, um den Nächsten reinzubitten, sitzen die lieben Kleinen dort mit leidendem Gesicht neben ihren Erziehungsberechtigten. Wenn sie reinkommen, kann ich an den Gesichtern ablesen, bei wie vielen Kollegen sie schon waren. Ich frage dann auch immer gleich direkt, was die Kollegen so gesagt haben.
Als ich die Tür öffne und Marcella und ihre Mutter verabschiede, sitzt da Abdul und neben ihm die Übersetzer-Tanten-Cousine. Sie grinst mich breit an. Super. Auf die ist echt Verlass. Die kommt immer, seit Jahren spreche ich mit ihr und Mama Abdul, die wenig Deutsch versteht. Diesmal muss sich Mama Abdul leider entschuldigen, sie ist mit der Tochter beim Arzt, aber sie lässt schön grüßen. Schade, ich hätte gerne mit ihr gesprochen, vor allem, weil es für Abdul eigentlich gar nicht so schlecht aussieht. Noch nie hatte ich so viel Positives über ihn zu sagen. Sonst musste Mama Abdul manchmal schon weinen, wegen der vielen Verfehlungen ihres Sohnes. Die Cousine schreibt mit, lässt sich alles genau erklären, fragt nach und macht Vorschläge. Und das alles in dieser herrlichen, leicht hektisch-wachen Coolness, die sie umgibt. Sie ist voll da. Totale Präsenz. Present perfect. Ich will sie heiraten. Sie soll bei mir wohnen. Ich will Schüler sein, und sie soll sich um meine Leistungen kümmern. Ich beneide Abdul, dass er so viel mit ihr zu tun hat. Und dann hat er auch noch diese süße liebe Mutter, die immer anfängt zu weinen. Diese Cousine ist wie ein teuflischer Engel. Echt super. Beim Verabschieden fragt Abdul: »Frau Freitag, wie lange is noch bis zur Notenabgabe?«
»Ungefähr fünf Wochen.«
In Abduls Kopf rechnet es. Dann strahlt er: »Super, immer nach dem Elternsprechtag bin ich zwei Monate gut in der Schule. Das haut dann ja noch hin.«
Als Nächstes kommt Elda mit ihrer Mutter. Showdown. Wird Frau Freitag die gefälschten Entschuldigungen auf den Tisch legen oder nicht? Ist das das Ende von Eldas freiem Leben? Wird sie heute Nacht noch in die Türkei verschickt und dort zur Heirat mit einem Bauernsohn gezwungen? Wird Elda ihr Leben ungeliebt im kargen Anatolien zwischen einem brutalen Ehemann und vielen Schafen verbringen müssen?
Eldas Mutter ist eine bildhübsche, moderne türkische Frau, die sich von ihrem Mann getrennt hat. Wir reden über Eldas Leistungen, die eigentlich keinen Grund zur Klage geben.
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