Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
denen befreundet, aber ich habe eine extra Frau-Freitag-Seite. Ist voll lustig, Facebook spricht mich dann immer mit Frau an, als wäre das mein Vorname: ›Frau, du musst dein Passwort erneuern‹, und so was. Ah, hier ist es. Ist von zwei Schülerinnen aus meiner Klasse. Die sind jetzt in der Zehnten. Hier, lest euch das mal durch!«
Ich stelle den Laptop auf den Couchtisch, so, dass alle was sehen können.
Fatma hat ein Bild aus einem Konzentrationslager gepostet und schreibt an Asmaa:
Fatma: Kuck dir die geilen juden an wie sie verbrennen voll süßß jahhh ❤ ❤ ❤ ❤ ❤ ❤ ❤
Asmaa: Ich liebe es
Fatma: Ganz schön intressaant und so neee … richtig süß mein Schatz
Frau Freitag: Noch ganz dicht? Denkt mal nach, was ihr hier schreibt!!!
Miriam: Huhuu okaay. haha
Fatma: Hahahahahahahahahaha … oha Asmaa kuck, frau Freitag
Stille. Alle starren auf den Bildschirm.
»Na ja, wenigstens hat mein Kommentar sie ein wenig gebremst. Sollen die anderen Schüler ruhig sehen, dass hier eine Lehrerin mitliest und das nicht voll süß Schaaaatzii findet. Mann, hab ich mich aufgeregt heute Nachmittag.«
»Also, was die Schüler denken und worüber die sich bei Facebook unterhalten, ist doch deren Privatsache. Das wurde ja nicht in der Schule geäußert«, sagt der Typ mit der Glatze.
»Wie – Privatsache? Facebook ist nicht privat. Das ist öffentlich – das ist immer öffentlich. Und das hier ist ja wohl eindeutig Volksverhetzung«, erwidert der Gastgeber, ein Graphiker, der den ganzen Tag am Computer sitzt.
Die modische Frau guckt mich ganz betroffen an: »Gibst du denen jetzt schlechte Noten?«
»Wie, schlechte Noten! Was meinst du? Das war ja jetzt keine Hausaufgabe, und außerdem sind die Zensuren von denen schon so schlecht, die kann ich gar nicht mehr weiter runtersetzen. Aber die können morgen was erleben.« Ich rege mich schon wieder auf.
Jetzt mischt sich der Freund von der modischen Frau ein. Ich glaube, er ist Optiker. Er trägt eine sehr bunte Brille. »Irgendwie verstehe ich das nicht ganz. Das sind doch fast alles türkisch- und arabischstämmige Schüler, oder? Werden die nicht auch ab und zu angefeindet? Die sind doch auch zu Gast hier in Deutschland.«
»Hä‚ wie zu Gast hier? Die sind alle hier geboren und ihre Eltern auch. Die haben auch deutsche Pässe und überhaupt: Was hat das mit den Konzentrationslagern zu tun? Die Juden waren doch auch keine Gäste in Deutschland. Oder meinst du jetzt wegen der Ausländerfeindlichkeit?«
Er guckt nachdenklich und schweigt.
»Du solltest einen Screenshot von den Kommentaren machen und den zur Staatsanwaltschaft schicken«, sagt der Jurafreund, den ich schon lange kenne, resolut.
»Kann man so was anzeigen?«, frage ich. Darüber hatte ich heute auch schon mal nachgedacht.
»Was würden die denn daraus lernen?«, will der Glatzentyp wissen. »Da muss man die Schüler schon irgendwie anders erreichen. Nur bestrafen, das hilft wahrscheinlich nicht. Die müssen spüren, dass ihr Handeln falsch und dumm war.«
Die modische Frau schlägt vor, dass ich mit meiner Klasse Die Welle lese: »Also, das haben wir damals in der Schule gelesen, und dann haben wir noch so einen Film über KZs gesehen. Da hat aber keiner mehr was gesagt. Hilft so was heute nicht mehr?«
» Die Welle haben die schon gelesen. Und bei denen ist das anders, da mischt sich ja ständig der Nahostkonflikt unter. Den gab es bei uns so ja gar nicht.«
Jetzt erwacht der Optiker wieder aus seiner Starre. »Wie wäre es denn, wenn du eine besonders schreckliche Stelle aus einem Bericht eines Überlebenden aus dem KZ vorliest, ohne zu sagen, dass es um Juden und die Nazizeit geht? Vielleicht können die ja den Schrecken und den Schmerz und die ganze Grausamkeit nachempfinden. Das muss richtig weh tun, damit sie irgendwas begreifen.«
»Keine Berichte vorlesen! Echte Bilder! Filme! Das Schlimmste, was du finden kannst, und dann muss jeder einen Aufsatz darüber schreiben! Und wenn das nicht hilft, dann schickst du sie zum Psychologen«, schlägt der Jurafreund vor.
Eine nachdenkliche Pause entsteht. Der Typ mit der Glatze zündet sich eine Zigarette an. Der Graphiker geht in die Küche und kommt mit sechs Bierflaschen wieder. Neben mir sitzt eine Grundschullehrerin. Ich kenne sie nicht, aber ich weiß, dass der Graphiker schon seit einigen Monaten hinter ihr her ist. Sie ist ziemlich jung und ein bisschen rundlich. Sie trägt gefütterte Wildlederstiefel und
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