Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
eher rückwärtsgewandt. Die Familien meiner Schüler kommen aber aus palästinensischen Flüchtlingslagern und waren zum Teil im Sommerurlaub im Libanon, als der letzte Krieg dort losbrach.
Ich erinnere mich an eine Kunststunde vor einigen Jahren, in der ich eine ziemlich chaotische Collageaktion initiiert hatte. Der Deutschlehrer, ein guter Freund von mir, hatte mir netterweise einen Haufen Zeitschriften besorgt. Aus den Containern, in denen die ganzen abgelaufenen Lesezirkelmagazine landen. Jedenfalls hatte ich einen Haufen Zeitschriften, die ich irgendwie in meinem Kunstunterricht verwursten wollte. Von jedem Magazin zehnmal die gleiche Ausgabe.
Plötzlich schrie ein Schüler auf »Judenfahne, Judenfahne« und zeigte immer wieder wild auf eine Seite. Ich hatte nicht bemerkt, dass es in dieser Ausgabe um den Libanonkrieg ging. Und wie der Stern so ist, gab es natürlich auch schön viele große Bilder von der Zerstörung. Plötzlich brach eine von mir nicht mehr kontrollierbare antisemitische Hasstirade bei den Schülern aus.
Ich wusste nicht, was ich machen sollte, und schrie sie an, sie sollten damit aufhören. Vor allem Mohamed stampfte ich in Grund und Boden. Ich spulte meine gesamte »Du-kennst-doch-gar-keine-Juden-wie-du-hier-redest-dafür-könnte-ich-dich-anzeigen«-Leier ab.
Er wurde ganz still. Irgendwann stand er auf und kam mit dem aufgeschlagenen Stern zu mir. Auf der Doppelseite war ein Bild von einem Mann, der ein blutendes, wahrscheinlich totes kleines Mädchen im Arm hielt.
»Aber Frau Freitag, gucken Sie«, sagte er ziemlich leise und hielt mir die Zeitschrift unter die Nase. »Gucken Sie, das ist doch meine Cousine.«
Fatma und Asmaa
»Fatma und Asmaa, bleibt mal noch kurz hier.«
»Warum denn?« Kurzes Nachdenken, dann ein verlegenes Grinsen. »Ach so, wegen Facebook. Frau Freitag, das war doch nur Spaaaß.«
Wir sitzen um den hinteren Gruppentisch in meinem Raum. Asmaa, Elif, Miriam, Fatma und ich. Fatma koloriert immer noch ihr Bild. Eine Phantasiestadt auf DIN A2, die sie im letzten Schuljahr gezeichnet hat. Damals ist sie nicht fertig geworden, jetzt will sie in jeder freien Minute an dem Bild arbeiten. Ich habe ihr meinen teuren Faber-Castell-Buntstiftkasten mit 36 unterschiedlichen Farben gegeben. Das Bild wird wirklich sehr schön.
»Frau Freitag, das war nicht ernst gemeint«, sagt Asmaa. »Fatma hat mir das geschickt, und dann habe ich darauf geantwortet.«
Fatma, ohne hochzugucken: »Wir sollten das für Geschichte lesen, und dann habe ich es einfach Asmaa geschickt.«
»Ja, das habe ich mir schon gedacht, aber die Kommentare.«
Beide kichern schuldbewusst. »Ja, das war blöd«, sagt Asmaa.
Miriam erzählt, dass sie in Geschichte mit der Klasse einen Film über KZs gesehen haben. »Das war voll schrecklich, wie die alle so total dünn waren, und überall hat man die Knochen gesehen. Alle waren übertrieben geschockt, wir Mädchen hätten fast geheult. Nur Fatma hat die ganze Zeit gelacht.«
Jetzt guckt Fatma mich das erste Mal an. »Ja, na und? Ich hasse die Juden. Was die in Palästina machen …«
Wir sprechen kurz über die Begriffe Juden, Israelis, Politiker, Privatleute, Täter und Opfer. Miriam sagt: »Aber die Deutschen machen doch immer Witze über die Juden.«
Fatma kichert: »Ja, hier, warte, habe ich im Internet gelesen. Was sagt der Jude zum Taxifahrer? – ›Gib Gas‹.« Fatma lacht sich schlapp.
Ich komme noch mal auf ihren Facebook-Spaß zurück. »Ihr könnt so was aber nicht auf Facebook schreiben. Das ist alles öffentlich.«
»Einmal im Internet – immer im Internet«, zitiert Miriam wen auch immer und grinst dabei zufrieden.
»Ganz genau«, sage ich.
»Ja, ich weiß, darum haben wir es auch gelöscht«, sagt Asmaa leise.
»Ihr könnt eine Menge Ärger bekommen. So zu reden ist nicht erlaubt.«
Die Mädchen werden ganz aufgeregt und erzählen mir eine Geschichte aus ihrer Grundschulzeit. Da gab es wohl ein palästinensisches Mädchen, das in ein Freundschaftsbuch unter Zukunftswunsch geschrieben hat: »Alle Juden sollen sterben!« Als die Klassenlehrerin das Buch bekam, um etwas reinzuschreiben, gab es richtig Ärger.
»Sie bekam Tadel und Brief an die Eltern und eine Klassenkonferenz und Schulverweis, und sie war gut in der Schule – Gymnasium –, und sie hätte sich fast ihre ganze Schule versaut damit«, erzählt Elif, ohne Luft zu holen.
»Na, die hat ihre Lektion gelernt«, sage ich, und die Mädchen nicken stumm.
Fatma räumt
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