Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
langsam auf, denn sie müssen zum nächsten Unterricht. »Fatma, ich verstehe, dass du auf die ganze Sache eine andere Sichtweise hast, wegen des Nahostkonflikts.«
»Frau Freitag«, unterbricht sie mich, »wissen Sie, was die da mit den Palästinensern machen?« Sie erzählt von Land und heiligen Moscheen und kleinen Kindern und Tod und Elend. Ich höre zu und nicke und sage, ja, das ist schlimm.
Dann unterbricht Miriam sie: »Aber Fatma, die Juden im KZ, die konnten doch gar nichts dafür. Das war doch viel früher. Die haben doch gar nichts mit Palästina zu tun.«
»Ja, stimmt«, sagt Fatma. Wir gehen aus dem Raum Richtung Sporthalle. Ich laufe langsam hinten mit Fatma, damit ich mit ihr alleine sprechen kann. Fatma sagt, dass die Juden/Israelis ja heute das Gleiche mit den Palästinensern machen würden. Und warum sie nichts von früher gelernt hätten.
»Fatma, das ist alles nicht einfach, dieser ganze Konflikt heute. Aber das eine ist Krieg, und der Holocaust war was anderes.« Sie weiß nicht, was der Holocaust ist. Ich erkläre es ihr schnell.
»Weißt du, das hat mich echt geschockt, wie und was ihr da über die KZs geschrieben habt. Das war richtig respektlos. Das war so schlimm damals. Da macht man sich nicht drüber lustig.«
Fatma guckt auf den Boden: »Ich weiß. Ich respektiere die Toten auch.«
Damit lasse ich es fürs Erste gut sein, lege ihr den Arm um die Schulter: »Tja, Fatma, schade eigentlich, dass wir beide hier heute nicht den Nahostkonflikt lösen können. Ist eben nicht so einfach.«
»Nee, leider«, sagt sie und schlurft zum Sportunterricht.
Cigdem ist wieder da
»Manuel, wie kannst du denn Muslim sein, wenn dein Vater Deutscher ist?«, fragt Cigdem mitten in der Stunde. Ich unterrichte gerade Kunst in meiner Lieblingsklasse. Ich bilde mir zumindest ein, es sei meine Lieblingsklasse, weil ich es sonst nicht aushalte. In der Gruppe sind nicht viele Schüler, weil jeder Einzelne die Wirkung von zehn normalen Schülern hat. Es ist die neue Klasse von dem dicken Dirk und Dschinges und neuerdings auch wieder von Cigdem. Sie war erst auf unserer Schule, dann auf irgend so einer Maßnahmenspezialschule, und jetzt ist sie wieder bei uns.
Das passiert oft. Wir haben viele Bumerang-Schüler. Die Schüler gehen – »Wir ziehen nach München, Köln, Kleve, ich gehe in ein Schulschwänzerprojekt, ich habe Ausbildungsstelle, ich gehe auf eine andere Schule« –, aber meistens passiert gar nichts. Oder sie sind irgendwann weg und stehen dann plötzlich wieder vor deiner Tür. »Ich bin wieder da. War scheiße in München. Obwohl es gab’s voll viel Arbeitsplätze. Sogar mein Bruder hätte dort arbeiten können, dabei hat er gar keinen Schulabschluss.«
»Dein Vater ist doch kein Muslim. Der ist doch Deutscher.« Manuel hat noch nicht geantwortet. Er scheint nachzudenken. In seiner Klasse sind alle Muslime. Es wäre gut für ihn, auch einer zu sein. Alle starren ihn interessiert an und warten auf seine Antwort. Ich möchte ihm helfen: »Cigdem, man kann auch als Deutscher Muslim sein. Das ist doch eine Religion und keine Volksabstammung oder eine Nationalität.« Manuel faselt etwas von Stiefvater. Wahrscheinlich ist er doch kein Muslim, sonst hätte er das sofort gesagt. Der Gruppendruck ist erbarmungslos wie überall. Ich versuche, das Thema zu wechseln: »Es ist doch ganz leicht, Muslim zu werden, man muss doch nur dreimal irgendwas sagen, und dann ist man das. Man muss ja noch nicht mal Steuern zahlen.« Ich denke an meine Kirchensteuer, die der Evangelischen Gemeinde jedes Jahr einen Skiurlaub ermöglicht.
»Ja, das Glaubensbekenntnis«, sagt Hassan.
»Cigdem, warum bist du eigentlich wieder hier? Du warst doch auf einer anderen Schule.«
»Da war’s scheiße. Ich bin geflogen.«
Irgendwie kommen wir von dem Religionsthema aber nicht weg. Cigdem erzählt, dass sie immer samstags und sonntags betet. Deshalb frage ich sie: »Bist du denn ein richtiger Muslim?«
»Ja, natürlich.«
»Hältst du dich denn an die Regeln?«
»Nein, tue ich nicht.«
»Kannst du denn ein Muslim sein, ohne dich an die ganzen Regeln zu halten?«
Cigdem überlegt: »Das hat doch nichts damit zu tun. Ich glaube trotzdem an Gott.«
»Na, das will ich ja gar nicht bezweifeln, aber ich dachte immer, man muss sich auch an diese Regeln halten.«
»Wieso? Das macht doch kein Jugendlicher.« Cigdem ist empört. »Niemand kann sich an die Regeln halten.«
Das sehen ihre Mitschüler aber anders: »Natürlich
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