Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
kann man das. Erwachsene, Hodschas, alte Leute …«
Sie überzeugen Cigdem nicht. »Meint ihr! Aber ich wette, die Hodschas haben früher auch Hurensohn gesagt. Glaubst du nicht, Frau Freitag?«
»Cigdem, warum duzt du die Lehrer eigentlich immer?«, fragt Manuel.
»Ja, Cigdem, das machst du. Und das sollte man nicht machen. Weißt du, das machen Kindergartenkinder. Du bist doch schon älter. Man denkt dann, du wärst noch klein.« Dabei weiß ich genau, dass sie das aus Respektlosigkeit und Provokation tut.
»Wieso, hab ich schon immer gemacht. In der anderen Schule hab ich zu den Lehrern gesagt ›Hurensohn, komm her‹, und die haben nichts gemacht.«
»Na ja, da bist du ja auch von der Schule geflogen.«
»Ja, aber weil ich eine Lehrerin geschlagen habe und so mit der Schere auf sie zugegangen bin.« Sie springt auf, nimmt eine Schere von meinem Schreibtisch und will die Szene nachspielen. Ich greife nach der Schere. Sie setzt sich wieder hin.
Die ganze Stunde beobachte ich sie. Sie arbeitet gut, verbal ließe sich einiges verbessern, aber eigentlich ist sie recht zugänglich und friedlich. »Cigdem, kann ich dich mal was fragen?«
»Was denn, Frau Freitag?«
»Sind deine Eltern eigentlich stolz auf dich?«
Sie denkt kurz nach »Nein. Sind sie nicht.«
Dann klingelt es, und wir wünschen uns gegenseitig ein schönes Wochenende.
Frau Freitag deckt auf
»Guten Tag, hier spricht Frau Freitag, ich bin die Klassenlehrerin von Bilal. Spreche ich mit Bilals Mutter?«
»Nein, ich bin die Schwester.«
»Könnte ich mal mit seiner Mutter sprechen?«
»Die kann nicht gut Deutsch, worum geht es denn?«
»Ich wollte mich nur erkundigen, warum Bilal am Freitag zu spät in die Schule gekommen ist.«
Ich hatte gesehen, dass er bis nachts um drei Uhr bei Facebook unterwegs war. Am nächsten Tag kommt er in der zweiten Stunde mit Trauermiene zu mir und sagt, dass er mich mal ganz dringend unter vier Augen sprechen müsste. Seiner Mutter sei es sehr schlecht gegangen. Ihr Gesicht sei ganz schief gewesen, und da wären sie die ganze Nacht wach geblieben und morgens früh mit ihr ins Krankenhaus gefahren.
»Das klingt ja schrecklich, Bilal, wie geht es deiner Mutter denn jetzt?«
»Ja, na ja, besser.«
»Ist sie noch im Krankenhaus?«
»Ja.«
»Na, das ist ja gleich hier um die Ecke, da kannst du sie ja nach der Schule besuchen.«
Erleichtert will er gehen, dreht sich aber noch mal um: »Soll ich eine Entschuldigung abgeben?«
»Nein, nein, brauchst du nicht. Gute Besserung an deine Mama.«
Ich gucke ihm hinterher und denke: Irgendwas stimmt an der Sache nicht. Ist nur so ein Gefühl. Aber dieses Gefühl kommt später in meiner Freistunde wieder hoch. Deshalb rufe ich schnell bei Bilal zu Hause an, um mich nach dem mütterlichen Befinden zu erkundigen.
»Jedenfalls war Bilal nicht in der ersten Stunde.«
»Ja, er ist zu spät losgegangen. Er hat verschlafen.« Kein Wunder, wenn er bis in die Puppen bei Facebook rumhängt.
»Okay, verschlafen … und der Mutter? Geht es der gut? Die war nicht im Krankenhaus, oder?«
»Nein, nein, der geht es gut.«
»Okay, dann weiß ich ja jetzt Bescheid. Erst mal vielen Dank. Tschüs.«
Die Mutter ins Krankenhaus gebracht … pah, mit schlimmen Schlaganfallsymptomen … Dieser Bilal kann was erleben. Spinnen die denn jetzt völlig? Die lügen mich ohne Ende voll. Von früh bis spät nur Lügen, Lügen, Lügen und gefälschte Entschuldigungszettel.
Marcella und Ayla kommen zu spät zur ersten Stunde. »Wir mussten noch was wegen einer Präsentation mit Herrn Schwarz besprechen.«
In der Pause treffe ich Kollege Schwarz: »Nö, Frau Freitag, die waren den ganzen Tag noch nicht bei mir.«
Dann frage ich den Chef des Prüfungsausschusses, ob Mariella für die Realschulprüfung angenommen wurde, obwohl sie ihre Anmeldung zu spät abgegeben hat. Er fragt, ob ich den Brief gelesen hätte, mit dem sie sich für die verspätete Abgabe entschuldigen wollte.
Und als ich das Gestammel lese, denke ich, mich trifft der Schlag. Da steht:
Ich weiß ich habe die Anmeldung zu spät abgegeben, weil meine Lehrerin hatte mir am 5.11. noch geschrieben, dass ich an die Gliederung denken soll und da hat sie mich aber nicht an die Anmeldung erinnert und dann habe ich nur an der Gliederung gearbeitet. Meine Lehrerin trifft keine Schuld.
Die Lehrerin (also ich) wird in diesem Schrieb so oft bemüht, dass es sich liest, als sei eigentlich nur sie dafür verantwortlich, dass Mariella die
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