Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
als Referendar in meiner Klasse unterrichtet und nur Chaos veranstaltet. Ein Opferlehrer allererster Güte. Er hatte es einfach nicht drauf. Seinetwegen hatte ich nur Ärger. Die Schüler haben sich bei mir über ihn und er sich über die Schüler beschwert. Grauenhafte Erinnerungen visualisieren sich. Abdul, der mir Handyfotos von einem völlig verwüsteten Raum zeigt. »Höhöhö, Frau Freitag, gucken Sie, so ist es immer in Erdkunde.«
Irgendwann war der Referendar dann weg. Hat die Schule gewechselt. Lange hieß es, meine Klasse hätte ihn auf dem Gewissen. Meine Schüler suhlten sich noch Monate in diesem fragwürdigen Ruf.
»Ich dachte, dass ich das Referendariat dann hier mache. Am Gymnasium hat man doch nur Ärger mit den Eltern.«
»Wiiiiie, hier willst du das machen? Aber das ist doch so hart bei uns. Dann hast du immer Ärger mit den Schülern . Du hattest doch so viel Stress mit denen.«
»Nö, die Schüler mochten mich eigentlich immer.«
Wie jetzt? Meine Klasse hat ihn gehasst. Ich verstehe gar nichts mehr. Was ist denn das für ein Masochist? Der hat doch extra die Schule gewechselt, und jetzt will er zurück.
Er versucht, mich davon zu überzeugen, wie gut es für ihn wäre, gerade an unserer Schule das Referendariat zu machen. Er ist sichtlich irritiert, wie vehement ich versuche, es ihm auszureden.
Irgendwann gebe ich auf: »Du, ich muss los. Na, ich würde mir das an deiner Stelle noch mal überlegen. Klar, das Kollegium ist super bei uns, aber in den Klassen bist du ja alleine. Da hilft dir dann auch kein nettes Kollegium. Na ja, musst du ja wissen.«
Dann latsche ich zum Bus. Komisch, der war doch schon im Referendariat. Hatte der nach den schlimmen Erfahrungen an unserer Schule nicht ganz mit dem Lehrerwerden aufgehört? Und wie lange ist das her? Damals war meine Klasse in der Achten. Jetzt sind sie Zehnte …
Dann wird mir schlagartig klar, was passiert ist: Ich habe ihn verwechselt! Dieser Typ war nur mal kurz Vertretungslehrer bei uns! Nett, kam gut klar, immer easy und – wie er schon sagte – bei den Schülern sehr beliebt. Au Backe. Und was ich dem alles an den Kopf geworfen habe! Sogar, dass er doch damals wegen meiner Klasse aufgehört habe. Und ob er sich denn daran gar nicht mehr erinnern könne. Dabei hat der meine Klasse nie unterrichtet. Peinlich!
Mert nervt
Als ich morgens aus dem Fenster sehe und alles in schönsten Schnee gehüllt vor mir liegt, ist mein erster Gedanke: Scheiße, die Siebte habe ich direkt nach der großen Pause, na toll! Die werden total durchgeweicht, mit Schneebällen in der Hand und hochroten Köpfen in meinen Raum stürmen und alles nass machen.
Im Lehrerzimmer steht dann auch noch auf dem Vertretungsplan, dass eine Englischkollegin fehlt und zusätzlich ein paar Schüler aus ihrem Kurs zu mir, also in die Siebte, kommen sollen. Na, das kann ja heiter werden – wie Fräulein Krise immer sagt. Ich wappne mich mit einem Vokabeltest und halbgarer Vorbereitung und begebe mich in Richtung Waterloo.
Die Schüler erscheinen, setzen sich – sie sind recht trocken –, einige wissen sogar noch, dass ich einen Test angekündigt habe, und lechzen nach den Blättern, weil sie mit jeder verstreichenden Sekunde die Vokabeln wieder vergessen könnten. Wie übervolle Wassergläser, aus denen das ganze Gelernte rausschwappen könnte. Die meisten allerdings lassen das typische »Ohaaa, Test? Haben Sie nicht gesagt!« ab.
Sie schreiben den Test, alles läuft in recht gesitteten Bahnen. Nur Mert nervt. Mert sitzt direkt vor meiner Nase. Mert nervt immer. Er macht Geräusche. Während ich an die Tafel schreibe, klatscht er unterm Tisch. Er öffnet das Buch nicht, wenn ich sage: »Öffnet das Buch!« Er schreibt nicht, wenn ich sage: »Schreibt!« Er ist nicht still, wenn ich sage: »Seid still!« Er macht eigentlich nie das, was ich sage. Wenn alle im Buch lesen und er sich langweilt, dann fragt er mich zehnmal hintereinander: »Auf welcher Seite sind wir?« Er müsste nur in Samanthas Buch gucken, die sitzt direkt neben ihm. Macht er aber nicht. Nein, er fragt mich . Immer wieder. Ich reagiere nicht. Dann gibt er irgendwann auf: »Ich kann ja nicht mitmachen. Sie sagen mir ja nicht, auf welcher Seite wir sind.«
So geht das nun schon seit Wochen. Der Rest der Gruppe arbeitet im Großen und Ganzen gut mit. Na, sagen wir mal so: Einige arbeiten immer mit, einige nie, aber niemand stört so penetrant und permanent wie Mert. Jede Stunde biete ich ihm einen
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