Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
sich nie jemand an das Preislimit hält? Am Ende gibt Ronnie mir das Geld wieder und nimmt die Federtasche. Natürlich habe ich die Stifte nie wieder im Unterricht gesehen.
Nachmittags kommt der Deutschlehrerfreund vorbei, um mit Kaffee auf den Ferienbeginn anzustoßen. Ich zeige ihm das Video vom Julklapp. Abdul hat echt Talent. Er sollte Weihnachtsmann werden. Sehr professionell hat er mir sein Geschenk überreicht:
»Hier ein Geschenk für Frau Freitag. Ich kenn sie sehr lange. Ab und zu seh ich sie auch bei Lehrerzimmer und bei Elternabend. Sie ist immer sehr nett. Erst mal, sie weiß, ich bin schlecht in der Schule, aber sie erzählt, also sie bringt immer erst die schlechte Nachricht, dann die gute, aber die gute überdeckt die schlechte.«
Dann komme ich nach vorne, wir umarmen uns. Abdul hält eine Tüte hoch mit einer libanesischen Tanne drauf: »Hier sind die Geschenke, zwei Geschenke, weil bei mir ist immer so: Wenn ich ein Junge ziehen würde – ich hol ihm Parfüm oder was Billiges, bei Mädchen musst du schon ein bisschen mehr achten, so, damit sie dich mag, aber bei Lehrerin – du musst richtig schleimen!«
Fatma trifft auf Frau Schwalle
»Ach, dich wollte ich auch noch kurz sprechen«, sagt Frau Schwalle. Trifft sich gut, denn ich habe schon den ganzen Tag nach ihr Ausschau gehalten. Frau Schwalle hatte mir noch am letzten Schultag vor den Ferien einen Tadel für Fatma ins Fach gelegt, der auf Fatmas Zeugnis erscheinen soll.
Frau Schwalle unterrichtet gar nicht mehr in meiner Klasse, aber bei ihrer Hofaufsicht ein paar Tage vor Weihnachten ist sie auf Fatma getroffen. An dem Tadel-Formular, aus dem mir die Wut noch förmlich entgegensprang, hing eine kurze Vorfallsbeschreibung:
Fatma telefonierte auf dem Hof. Als Frau Schwalle ihr das Handy abnehmen wollte (bei uns dürfen die Schüler auf dem ganzen Schulgelände und nicht nur während des Unterrichts keine Handys benutzen), rückte sie es nicht nur nicht heraus, sondern baute sich auch noch drohend und mit nur zehn Zentimeter Abstand vor ihr auf. Frau Schwalle forderte sie auf zurückzutreten, aber Fatma bewegte sich nicht. Frau Schwalle fühlte sich bedroht und schob sie daraufhin auf Armeslänge weg.
In der Gebrauchsanweisung für Fatma steht allerdings: niemals anfassen und schon gar nicht wegschieben! Außerdem kennt Fatma ihre Rechte. Sie schrie also: »Wenn du mich noch einmal anfasst, dann klatsch ich dich.«
Frau Schwalle beendet ihren Bericht ganz sachlich mit den Worten: »Ich möchte bei meiner Arbeit weder geduzt noch bedroht werden und beantrage deshalb eine Klassenkonferenz.«
So eine Konferenz ist zwar schnell beantragt, aber nicht so schnell organisiert. An einer Klassenkonferenz müssen alle Lehrer teilnehmen, die Fatma unterrichten. Wir brauchen also einen für alle passenden Termin. Und ich muss immer das Protokoll schreiben und abtippen. Kein Lehrer ist Freund von Klassenkonferenzen. Sie können mitunter Genugtuung bringen, spannend, erhellend oder lustig sein, aber sie dauern meistens 90 Minuten, liegen immer erst nach der letzten Stunde und beginnen also frühestens um 17 Uhr.
In diesen Konferenzen werden Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen beschlossen. Meistens verhandeln wir einen konkreten Vorfall, aber es kann auch sein, dass ein Schüler oder eine Schülerin so oft den Unterricht stört, dass man deshalb eine Konferenz einberuft. Gemeinsam beschließen die Lehrer dann, was mit der Schülerin oder dem Schüler passieren soll. Das kann im schlimmsten Fall zum Schulverweis führen. In der 10. Klasse sehen die Lehrer eigentlich davon ab, noch Klassenkonferenzen anzusetzen, weil die Schüler dann ohnehin bald weg sind.
Wegen Fatma hatten wir schon diverse Konferenzen. Sie ist recht arbeitsintensiv. Wenn es zu dieser Konferenz kommt, müssten wir sie eigentlich von der Schule schmeißen. Und das will ich nicht. Ist eigentlich nicht mehr nötig, denn jetzt hat Fatma ihre Schullaufbahn schon fast beendet und steht kurz davor, irgendeine Art von Abschluss zu machen. Die Konferenz muss also verhindert werden.
»Frau Schwalle, ich habe mit Elif und Asmaa gesprochen, die haben mir die Sache ganz anders geschildert. Die meinten, dass Fatma diesmal wirklich gar nichts gemacht hätte und dass du ihr zu nahe gekommen wärst.« Die Schwalle startet eine leichte Schnappatmung und besteht auf der Konferenz. »Okay, aber dann müssen wir uns nach 17 Uhr treffen.« Ich versuche, an die Schonlehrerin in ihr zu appellieren, denn
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