Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
dem Edding, den man sich von der Geschichtslehrerin ausgeliehen hat – »Können wir den mitnehmen, wir machen das Plakat dann zu Hause weiter« –, auf diverse Blätter geschrieben (um sich zu vergewissern, dass man noch weiß, wer man ist, oder warum?).
Wer nicht den eigenen Namen geschrieben hat, malt Bärte, Burkas oder Busen auf die unschuldigen zwei Peoples auf dem Workbook. Und schreibt natürlich auch noch mal den eigenen Namen drauf. Sorry, Leute, den eigenen Namen auf alle Hefter zu klieren, reicht nicht für einen Schulabschluss. Es reicht auch nicht, nur physisch im Raum anwesend zu sein und mit dem Oberkörper auf dem Tisch zu liegen. Kann jemand mal diese magnetischen Tische gegen normale austauschen? Alle Tische in meinem Raum scheinen die Köpfe der Schüler anzuziehen. Im Übrigen gibt es fürs Sich-anziehen, auch wenn man das gut kann, keinen Schulabschluss. In der wöchentlichen Hausaufgabenstunde wird alles gemacht – nur keine Hausaufgaben. Ich bin kurz davor, sie für meine Schüler zu machen: »Was habt ihr auf in Deutsch? Gib mal her, Ronnie, ich mach das schnell, du unterhältst dich ja gerade so angeregt mit Marcella, und gefrühstückt hast du ja auch noch nicht.«
Meine Klasse ist in der Zehnten. Hallo?! Zehnte? War da nicht irgendwas? Bewerben? Ausbildungsplätze? Außer Abdul – »Ich habe schon dreizehn Bewerbungen geschrieben, macht Spaß« – hat sich noch KEINER IRGENDWO beworben! Die Hälfte der Klasse weiß noch nicht mal, was sie machen will. Wenn ich sie frage, dann sagen sie: »Frau Freitag, das stresst.« Vielleicht sollte ich nicht nur ihre Hausaufgaben machen, sondern auch noch ihre Bewerbungen schreiben. Einer muss es ja machen. In der letzten Hausaufgabenstunde hat meine Klasse nur darüber diskutiert, dass sie eine Klassenfahrt machen möchte. Ich bin echt abgegessen.
Ich kann dieses Verhalten, dieses Verdrängen, diese Faulheit nicht mehr ertragen. Und deshalb bin ich in jeder Stunde, die ich mit meiner Klasse habe, extrem schlecht gelaunt. Aber langsam habe ich den Eindruck, dass sie gar nicht wissen, warum ich sauer bin. Dass es mit ihrem Verhalten zusammenhängen könnte, darauf kommen die gar nicht. Und heute dann die Erkenntnis. Ich versaue mir nicht das letzte Halbjahr mit meiner Klasse damit, mich um deren Zukunft zu kümmern. Wenn sie das nicht tun, dann tue ich es eben auch nicht. Ich will nicht mehr so schlecht gelaunt sein.
In der nächsten Stunde, wenn ich die Halbjahreszensuren verkünde, werde ich ihnen meine Gedanken mitteilen und dann die verbleibende Zeit mit ihnen genießen. Freundlich und nett sein und nicht mehr sauer und besorgt. Ich bin nicht deren Mutter!
Fatma lässt nicht locker
Ist bald Weihnachten? Waren schon sieben Wochen Unterricht? Ich bin sooo fertig. Ich kann mir nicht mal mehr die Haare kämmen. Dabei ist erst seit einer Woche wieder Schule. Eigentlich müsste ich noch Fatmas Vater anrufen und ihn über den Schwalle-Konflikt informieren. Aber ich kann nicht, keine Kraft mehr.
Stundenlang habe ich auf die Schwalle eingequatscht, dass sie von einer Klassenkonferenz absehen soll. Dann hatte ich sie endlich so weit: »Okay, dann verlange ich aber eine Entschuldigung. Und Fatma soll eine Art Sozialdienst machen. Irgendwo irgendwas fegen, oder so.«
Ich, froh, um die Sitzung rumzukommen, teile es Fatma mit. Die flippt aus: »ICH MICH entschuldigen, DIE muss sich bei MIR entschuldigen, diese Hurentochter.«
»Fatma, die Beleidigung habe ich jetzt nicht gehört. Aber überleg dir das doch noch mal, mit so einer Entschuldigung und so ein paar Sozialstunden, damit bist du doch fein raus.«
»SOZIALSTUNDEN? Ich bin doch nicht im Knast! NIEMAAAALS entschuldige ich mich bei der. Dann kriege ich eben eine Sitzung. Und wenn ich von der Schule fliege, wenn ich von der Schule fliege, wenn ich von der Schule fliege …«
»Was ist dann?«
»Dann passiert was. Dann kriegt die ganze Schule einen Arschtritt.« Fatma steigert sich in Was-wäre-wenn-Phantasien hinein, die ich irgendwann stoppen muss: »Schluss jetzt, wenn du hier weiter so redest, bin ich gezwungen, deinen Vater oder die Polizei zu verständigen.«
Die Sitzung kommt also auf jeden Fall. Ich bete, dass Frau Schwalle wenigstens das Protokoll schreiben muss.
Heute gab’s die Halbjahresnoten. Allerdings – mal wieder typisch – noch nicht alle. Zwei Kollegen haben die Zensuren immer noch nicht eingetragen. Das regt mich sooo auf. Da will man alles ausrechnen und die Prognosen
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