Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
meldet ihn krank. Julklapp-Frühstück ohne Butter geht ja gar nicht. Abdul nimmt sich die Wer-bringt-was-mit-Liste und stellt fest, dass die Butter von Peter und der Eistee von Ronnie fehlen. Den Eistee sollte Peter nämlich ebenfalls mitbringen. »Er hat mich voll abgezockt. Ich hatte ihm gestern einen Euro gegeben«, sagt Ronnie wie üblich schlechtgelaunt. »Abgezockt ist wohl nicht das richtige Wort, Ronnie. Peter ist krank und bestimmt nicht, weil er mit deinem einen Euro durchbrennen will.«
Abdul will einkaufen gehen. Ich gebe ihm fünf Euro.
In der ersten Stunde in Englisch ist kein Unterricht möglich. Ich hatte mich schon zu »Wir machen nur die Hälfte der Stunde Unterricht« überreden lassen. Allerdings tauchen alle Schüler verspätet und ohne Schulsachen auf. Nur Bilal kommt mit einem dicken Plastiksammelordner für Hefter. Schön, denke ich, der hat wenigstens Schulsachen mit. Er macht den Ordner auf: Tilsiter und Gouda in Scheiben.
Ayla übernimmt das Kommando. Tische werden geschrubbt, umgestellt und eine lange Tafel aufgebaut. Die Geschenke kommen in eine goldene Kiste. Also einen Umzugskarton mit Geschenkpapier umwickelt – sieht super weihnachtlich aus, macht echt was her. Neben dem Karton sitzt Funda, die sich meinen Folienstift genommen hat und nun jeden, der sein Geschenk dort reinlegen will, anspricht: »Steht schon Name drauf? Soll ich raufschreiben?«
Da jeder sein Päckchen schon ordentlich beschriftet hat, geht sie dazu über, die Namen aller Schüler auf die Plastikbecher zu schreiben. Meine Servietten, die ich zu Dekozwecken gekauft habe, werden kreativ auf dem Tisch verteilt. Meine Lametta-Dekofäden werden allerdings verschmäht: »Neiiin, Frau Freitag, nicht dis, dis geht dann ins Essen.«
Dann wird gefrühstückt. Meine Klasse ist so dermaßen verfressen: 65 Brötchen werden vertilgt – von zwanzig Schülern. Frau Hinrich sitzt neben mir und freut sich. Ich freue mich auch. Alle führen nette Gespräche. Abdul schluckt immer erst alles runter, bevor er mir antwortet. Dabei fällt mir auf, dass ich immer mit vollem Mund rede. Muss ich mir unbedingt abgewöhnen, wenigstens, wenn ich mit Abdul oder seiner Mutter spreche.
Dann endlich geht’s ans Julklappen. Abdul spielt den Weihnachtsmann. Ich habe ihm eine schöne Weihnachtsmannmütze mitgebracht. Bevor er reinkommt, singt die Klasse »In der Weihnachtsbäckerei«. Süß, sie kennen davon noch alle Strophen. Abdul macht seine Sache gut. Zu jedem Schüler sagt er ein paar Sätze. Immer passend, immer sehr lustig. Und ihm fällt zu jedem was ein. »Ohne Ronnie in der Klasse würden wir viel weniger lachen.« Und das liegt nicht daran, dass Ronnie besonders gute Witze macht. Ronnie macht selten Witze. Aber er regt sich immer besonders theatralisch auf und amüsiert dann die Klasse mit seiner schlechten Laune. Ronnie ist eigentlich immer schlecht drauf. Er fühlt sich permanent ungerecht behandelt. Meistens hat er dazu keinen Grund. Meistens – nicht immer. Nicht heute …
Alle packen ihre Geschenke aus. Wie befürchtet, haben die meisten mehr als fünf Euro gekostet. Da gibt es Hello-Kitty-Köfferchen, Ich-liebe-dich-Kissen, viel Parfüm und Kosmetik, Mützen und Handschuhe und so weiter. Ich bekomme auch Parfüm und eine schöne Gesichtscreme. Fatma guckt sich die Tube an und lacht: »Ist das Faltencreme?«
Alle freuen sich über ihre Geschenke und zeigen sie stolz vor. Dann macht Ronnie sein Geschenk auf. Die Federtasche mit dem Pfeil. Die selbstgenähte Federtasche mit dem Pfeil. »Äh, was ist das denn? Ist die selbstgemacht?«, fragt Ronnie angeekelt. Er guckt kurz rein und schiebt sie dann beleidigt von sich weg. »Ist bestimmt von einer Lehrerin«, versucht Christine, ihn zu trösten. »Lass mal sehen, Ronnie«, ruft Elif. »Oh, diese Kulis sind voll gut. Freu dich doch.« Alle reden ihm gut zu, er wird immer saurer. Ich versuche, von mir als Übeltäterin abzulenken: »Zeig mal, Ronnie, was du bekommen hast.« Soll doch Frau Hinrich die Böse sein, die dem armen, armen Ronnie so etwas angetan hat. Ronnie nimmt das Tipp-Ex aus der Federtasche und will genervt auf dem Tisch rumsauen. Ich nehme die fünf Euro, die ich von Frau Hinrich für Hannahs Geschenk bekommen habe und lege sie ihm auf den Tisch. »Hier. Dann nimm das Geld. Ist ja nicht mit anzusehen, wie du leidest.« Ich höre ihn irgendwas von zwölf Euro nuscheln. Anscheinend hat Ronnie mehr investiert, als er jetzt bekommen hat. Was kann ich denn dafür, wenn
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